Wählerische Diebe

von Marina González

(Montevideo, 20. Dezember 2012, la diaria-poonal).- „Wir verurteilen entschieden die kriminellen Handlungen gegen Berichterstatter*innen der Presse in unserem Land”, erklärte die Sprecherin der chilenischen Regierung, Cecilia Pérez, mehrere Tage nachdem verschiedene Journalist*innen, die Bücher über die Diktatur veröffentlicht hatten und Opfer von Diebstählen geworden waren. Sie hatten zuvor eine entschiedene Stellungnahme der Regierung gefordert, denn „das Schweigen macht sie zu Komplizen“, hatte der chilenische JournalistInnenverband (colegio de periodistas chilenas) erklärt.

Anzeige wegen „Einschüchterung“

Die Diebstähle bei drei bekannten Journalisten ereigneten sich am Wochenende vom 14. bis 16. Dezember und im Zusammenhang mit Anschuldigungen der Journalisten gegen die Pinochet-Diktatur stehen. Nach Angaben der Geschädigten, die ihre Arbeiten alle im Verlag Ceiba Ediciones veröffentlichten, trügen auch die Diebstähle ähnliche Merkmale: Es seien keinerlei Wertgegenstände mitgenommen worden, sondern Informationsmaterial und Dokumente, die im Zusammenhang mit ihren Recherchen stünden.

Mauricio Weibel, der eine Anzeige wegen des Versuchs der “Einschüchterung“ stellte, ist Korrespondent der Deutschen Presseagentur DPA und der Nichtregierungsorganisation Reporter Ohne Grenzen in Chile. Zudem ist Weibel Präsident der Vereinigung der Südamerikakorrespondent*innen. Gemeinsam mit seinem Kollegen Carlos Dorat ist er Ko-Autor des Buches „Asociación ilícita, los archivos secretos de la dictadura (dt. etwa: Kriminelle Vereinigung. Die Geheimarchive der Diktatur). Laut Weibel habe Dorat ominöse Anrufe erhalten, bei denen der Anrufer oder die Anruferin nicht gesprochen habe.

Computer und Festplatten gestohlen

Bei Weibel wurde an jenem Wochenende gleich drei Mal eingebrochen: zwei Mal in seinem Haus, wo Material seiner Arbeit gestohlen wurde und einmal in seinem Auto, das jedoch unverschlossen wieder auftauchte. Weibels Vater war Vorsitzender der kommunistischen Partei Chiles und gilt seit 1976 als verschwunden.

Ein weiteres Opfer der Diebstähle ist der Journalist Javier Rebolledo. Er ist Autor des Buches „La danza de los cuervos: El destino final de los detenidos desaparecidos“, (dt. etwa: Der Tanz der Raben. Das endgültige Schicksal der Verhaftet-Verschwundenen) das im Juni 2012 veröffentlicht wurde und nie zuvor gesehene Bestsellerzahlen im Lande schrieb. Rebolledo wurde eine Festplatte seines Computers gestohlen, auf der er eine Kopie seines nächsten Buches abgespeichert hatte – in dem es auch um die Diktatur geht.

Und dem Autor Cristobal Peña, der 2007 das Buch “Los fusileros: crónica secreta de una guerilla en Chile“ veröffentlichte, wurde der Privatcomputer gestohlen.

Zu diesen drei Journalisten kommt noch der Fall der Autorin und Korrespondentin der New York Times in Chile, Pascale Bonnefoy hinzu. Sie hatte das Buch „Terrorismo de Estadio: Prisioneros de guerra en un campo de deportes” (dt. etwa Stadionsterrorismus: Kriegsgefangene auf einem Sportplatz). Bonnefoy ist zudem Dozentin an der JournalistInnenschule der Univesidad de Chile. Auch ihr wurde der Computer entwendet.

„Ernsthafte Gefährdung der Meinungsfreiheit“

Der zuständige Staatsanwalt für die Fälle Weibel, Rebolledo und Peña, Andrés Montes, eröffnete am 18. Dezember ein Strafverfahren. Laut der chilenischen Tageszeitung La Tercera erklärte Montes, es handele sich um „äußerst schwere Straftaten, die ernsthaft die Meinungsfreiheit gefährden“.

Die Regierungssprecherin Cecilia Pérez versicherte am 18. Dezember, man erarbeite gegenwärtig Maßnahmen zum Schutz der bestohlenen Journalist*innen und verurteilte die Vorgänge als „inakzeptabel“, nachdem das Colegio de Periodistas de Chile eine Stellungnahme gefordert hatte. „Vertrauen wir der Untersuchung der Staatsanwaltschaft und hoffen darauf, dass die Gerichte tätig werden […], denn die Pressejournalisten müssen ihre Arbeit völlig normal verrichten können“, erklärte Pérez.

Die JournalistInnenvereinigung informierte am Dienstag zudem, dass man bei einem Treffen mit Pérez übereingekommen sei, ein Gesetzesvorhaben, dass Journalist*innen „in Gefahrensituationen“ besser schützen soll, mit verstärkten Kräften voranzubringen.

Die Chefredaktion von dpa forderte die Regierung Chiles in einer Pressemitteilung vom 17. Dezember auf, „schnellstmöglich Maßnahmen zu ergreifen, um die Sicherheit des dpa-Korrespondenten und die seiner Familie zu gewährleisten.“

 

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