Unbekannte Nachbarn

(Montevideo, 27. August 2013, la diaria).- Im Rahmen des vergangenen Mercosur-Gipfels Mitte Juli wurden die Staaten Surinam und Guyana zu assoziierten Mitgliedern des Staatenbündnisses erklärt. Damit kann mit zunehmenden politischen und wirtschaftlichen Verbindungen zwischen den Mercosur-Staaten und diesen beiden Nachbarländern gerechnet werden. Surinam und Guyana haben auch so schon viel gemeinsam. Die beiden im Norden des südamerikanischen Kontinents gelegenen Länder wurden erst in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts unabhängig, haben schwierige wirtschaftliche Bedingungen, instabile politische Verhältnisse und jeweils weniger als 800.000 Einwohner*innen.

Ihre Kulturen und Bevölkerungskriterien sind von den großen Kolonisierungsprozessen gekennzeichnet; auf einem Gebiet leben mehrere Ethnien zusammen, es werden verschiedene Sprachen gesprochen und verschiedene Religionen praktiziert. In Lateinamerika sind diese praktisch unsichtbar und wenig bekannt, und tatsächlich ist es schwierig, zuverlässige und glaubwürdige Informationen zu finden.

Kariben und Arawaks

Surinam ist das kleinste Land Südamerikas. Die präkolumbianischen Bewohner*innen des heutigen Surinam waren die Karib*innen, ein kämpferisches Volk, das vor allem von der Jagd und vom Fischfang lebte. Die ersten Bewohner*innen von Guyana waren die Arawaks; sie gaben dem Gebiet seinen Namen, das “Feuerland” bedeutet. Sie wurden später von den Karib*innen verdrängt.

1616 errichteten die Holländer*innen die erste Befestigung in Guyana mit drei Dörfern. 1796 übernahmen die Brit*innen die Kontrolle. Im heutigen Surinam waren dagegen die Engländer*innen des 17. Jahrhunderts die Kolonisator*innen, die zudem Sklav*innen aus Afrika zur Arbeit auf den Plantagen nach Surinam verschleppten. Damals lebten dort auch schon Holländer*innen, die später dann die Kontrolle übernahmen.

Heutzutage ist die ethnische Vielfalt eine der Hauptmerkmale in beiden Staaten – genauso wie die Schwierigkeiten beim Zugang zu Arbeit, Bildung, Land und politischer Teilhabe. Im Jahr 2005 waren nach Angaben des Lexikons Dritte Welt (Guía del Tercer Mundo) fast 77 Prozent des guyanischen Gebietes von Wald bedeckt, während es in Surinam sogar fast 95 Prozent sind.

UN fordern mehr Rechte für Indigene

Das UN-Komitee zur Beseitigung der Rassendiskriminierung CERD (Comité para la Eliminación de la Discriminación Racial de las Naciones Unidas) hat den guyanischen Staat aufgefordert, Statistiken über die Situation indigener Völker und ihrer Gemeinden zu erstellen und einen Aktionsplan auszuarbeiten; außerdem solle “die Enteignung indigenen Besitzes auf Fälle beschränkt werden, in denen es absolut notwendig ist.” Weiterhin verlangt das Komitee “eine vorhergehende Konsultierung der betroffenen Gemeinden, um ihre informierte Zustimmung zu erhalten.” In Guyana gibt es noch die Todesstrafe; dies wird regelmäßig von den Menschenrechtsinstanzen angeprangert, auch wenn das letzte Todesurteil 1997 vollstreckt worden ist.

Dasselbe UN-Komitee hat auch Surinam zur Erstellung von Statistiken aufgefordert. Juristisch sollen die gemeinsamen Rechte der indigenen Völker anerkannt werden, wie das Recht auf Eigentum, Entwicklung, Kontrolle und Nutzung ihrer Ländereien, Ressourcen und Gemeindegebiete. Im Jahr 2007 hat der Interamerikanische Gerichtshof für Menschenrechte den Staat Surinam verurteilt, zugunsten des Volks der Saramaka. Surinam hatte historischen Grund und Boden der Ethnie an Bergbauunternehmen und Holzfirmen vergeben und damit das Recht der Saramaka auf Eigentum verletzt. Der überdurchschnittlich hohe Analphabetismus indigener Gemeinden werden mit der einsprachigen Schulbildung in Verbindung gebracht sowie mit der Weigerung Surinams, die indigenen Sprachen anzuerkennen. Die Amtssprache in Surinam ist holländisch, aber es wird auch Hindi, Javanisch und Sranang Tongo gesprochen. Letztere ist eine kreolische Sprache auf der Basis afrikanischer Sprachen, mit holländischen, portugiesischen und englischen Elementen.

Surinam: der ewige Putschpräsident

Der amtierende Präsident Surinams heißt Dési Bouterse; seit über 30 Jahren ist er einer der einflussreichsten Politiker des Landes. Er ist nicht zum ersten Mal an der Macht: Bereits 1980 und 1982 war er Präsident, beide Male hatte er sich an die Macht geputscht. Beim ersten Staatsstreich 1980 warf er Präsident Johan Ferrier und Premierminister Henck Arron aus dem Amt. Letzterer war Anführer der Nationalen Partei Surinams und Schlüsselfigur der Unabhängigkeit, die am 25. November 1975 erklärt wurde. Während seiner Amtszeit haben zwei Privatfirmen die Bauxitindustrie monopolisiert, den mit Abstand wichtigsten exportfähigen Rohstoff. Der Sturz Arrons fand im Rahmen des sogenannten “Putsches der Unteroffiziere” statt, infolge dessen der von Bouterse kontrollierte Nationale Militärrat Hendrick Rudolf Chin A Sen zum Präsidenten und Premierminister ernannte. 1982, nur zwei Jahre später, löste Bouterse erneut das Kabinett auf und ernannte den Vorsitzenden des Kongresses Ramdat Misier zum Präsidenten. Grund war Bouterses Unzufriedenheit mit einem Gesetzesentwurf, der den Einfluss des Militärs auf die Regierung einschränken sollte.

Als es im Dezember 1982 große soziale Unruhen gegen die De-facto-Regierung gab, kam es zu extralegalen Hinrichtungen, die in Surinam als “Dezembermorde” bekannt sind. Es dauerte über 20 Jahre, bis schließlich 2007 begonnen wurde, diese Verbrechen juristisch aufzuarbeiten; einer der Beschuldigten ist Bouterse. Im Januar 2010 nahm der juristische Prozess an Fahrt auf, doch im Mai jenen Jahres kehrte Bouterse an die Macht zurück, diesmal nach einem Wahlsieg. 2012 verabschiedete das Parlament auf Drängen des Präsidenten eine Ergänzung zum Amnestiegesetz von 1992 und die Untersuchungen der Justiz wurden für null und nichtig erklärt.

Die 1980 begonnene Phase der Diktatur hatte ihren Höhepunkt 1987. Als Teil des Abkommens zum Übergang zur Demokratie wurde Bouterse zum Vorsitzenden des Nationalen Militärrats ernannt, während die Nationalversammlung eine neue Verfassung verabschiedete und Ramsewak Shankar zum Präsidenten kürte. Arron kehrte als Premierminister in die politische Arena zurück, wurde jedoch 1990 erneut durch einen Staatsstreich gestürzt, zu dem sich wieder Bouterse entschieden hatte. Grund war diesmal, dass sich die Regierung nicht für ihn eingesetzt hatte, nachdem die Niederlande Bouterse die Einreise nach Amsterdam verweigert hatten.

1997 stellten ihm die Niederlande einen internationalen Haftbefehl aus: Er wurde bezichtigt, Verbindungen zum Drogenhandel zu haben. Der damalige Präsident Jules Wijdenbosch ernannte Bouterse jedoch kurzerhand zum Staatssekretär, so dass er diplomatische Immunität erhielt. Nach drei Staatsstreichen gelang die Öffnung zur Demokratie schließlich erst mit Ronald Venetiaan, einem weiteren führenden Politiker. Er regierte Surinam drei Amtszeiten lang (1991-1996, 2000-2005 und 2005-2010), die davon gekennzeichnet waren, das Land in ruhigere Fahrwasser zu lenken. Doch die institutionellen Krisen wurden von den wirtschaftlichen Schwierigkeiten noch übertroffen, von der Verschuldung beim Internationalen Währungsfonds und einer zunehmenden internationalen Isolierung.

Guyana: Wahlbetrug und Grenzstreitigkeiten

Seit Oktober 2011 ist Donald Ramotar Präsident Guayanas, ein 62-jähriger Ökonom und Mitglied der Fortschrittlichen Volkspartei PPP (Partido Progresista del Pueblo). In seiner Amtszeit gab es die jüngsten internationalen Schritte in den historischen Grenzstreitigkeiten mit Venezuela, welches die Grenzregion Esequiba für sich beansprucht. Das umstrittene Gebiet umfasst circa 160.000 der 215.000 Quadratkilometer Guyanas.

Präsident Ramotar ist politischer Nachfolger von Cheddi Jagan, der in den 1950er Jahren gemeinsam mit Forbes Burnham die PPP gründete und so den Prozess der Unabhängigkeit von Großbritannien in die Wege leitete. In der guyanischen Politik sind Jagan und Burnham die Schlüsselfiguren. Als die Unabhängigkeit endlich am 26. Mai 1966 erreicht wurde, war die PPP bereits gespalten. Damals hatte sich Burnham, der auch Gewerkschaftsführer war, bereits von der PPP abgespalten und den Nationalen Volkskongress gegründet. Burnham erlangte die Präsidentschaft 1980 in einem Wahlprozess, den internationale Beobachter*innen als Betrug werteten. Während seiner Amtszeit erhielt Guyana Kredite vom Internationalen Währungsfonds und der Grenzstreit mit Venezuela verschärfte sich. Außerdem starb der Aktivist und Gründer der Allianz des Arbeitenden Volkes, Walter Rodney, als eine Bombe in seinem Auto explodierte. Seine Anhänger*innen machten Burnham für den Mord verantwortlich, der bis zu seinem eigenen Tod 1985 regierte.

Zwei Parteien wechseln sich ab

Sein Nachfolger war Desmond Hoyte: Wieder gewann die Partei Burnhams die Wahlen und wieder sprach die Opposition von Wahlbetrug. Die PPP gewann 1992 schließlich die Wahlen mit Jagan. Zuvor hatte Hoyte den Ausnahmezustand verhängt und die Wahlen mehrfach verschoben. Jagan starb 1997 ebenfalls im Amt. Seine Frau Janet Rosemberg gewann die darauf folgenden Wahlen, allerdings für die Partei von Burnham, die einmal mehr von Hoyte vertreten wurde. Aus gesundheitlichen Gründen trat dieser vor dem Ende seiner Amtszeit zurück, die PPP kam an die Macht und wurde von Bharrat Jagdeo vertreten, dem Vorgänger des amtierenden Präsidenten.

Die Welthandelsorganisation schrieb in einem Bericht 2003, dass die Wirtschaft Guyanas von seinen natürlichen Ressourcen, vor allem Bauxit, abhängig ist und die Wirtschaft nur langsam wächst. Außerdem hat Guyana mit enormen Auslandsschulden bei der Weltbank und dem Internationalen Währungsfonds zu kämpfen. Aktuellere Daten gibt es scheinbar nicht.

CC BY-SA 4.0 Unbekannte Nachbarn von Nachrichtenpool Lateinamerika ist lizenziert unter Creative Commons Namensnennung-Weitergabe unter gleichen Bedingungen 4.0 international.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert