Skandalöse Zustände in vielen psychiatrischen Kliniken

(Fortaleza, 30. Oktober 2013, adital).- In vielen psychiatrischen Kliniken Mexikos erwartet die Patient*innen keine Heilung – ihr Leiden verstärkt sich stattdessen. Mangel an Essen, wenig bzw. für die Arbeit kaum befähigtes Personal, Isolierung von bis zu 90 Tagen Dauer, Diskriminierung, Erniedrigungen, Misshandlungen, Folter – und in einem Fall sogar eine Vergewaltigung.

Auf all diese Schrecken stießen Vertreter*innen der mexikanischen Nationalen Menschenrechtskommission CNDH (Comisión Nacional de los Derechos Humanos) bei der Untersuchung von 41 psychiatrischen Kliniken. Acht dieser Kliniken werden in staatlicher Regie betrieben, für 33 tragen Bundesstaaten die Verantwortung. Es handelt sich fast um die Gesamtheit dieser Einrichtungen im Land. Allesamt weisen sie gravierende Mängel der einen oder anderen Art auf.

Aids-Kranke werden sich selbst überlassen

Misshandlungen der Patient*innen und Angriffe auf ihre Menschenwürde sind häufig. So wende eine Klinik in Chihuahua eine isolierte Unterbringung von bis zu vier Tagen Dauer als Bestandteil der Behandlung an, heißt es in dem am 30. Oktober vorgelegten Bericht. Ein Patient habe sogar über 90 Tage in Isolierung verbringen müssen. Die Lektüre des Dokuments gleicht einer Aneinanderreihung von Ungerechtigkeiten. „Die Klinik in Sonora verweigert jenen Patient*innen die psychiatrische Betreuung, die zusätzlich zu ihrem psychischen Leiden auch noch mit HIV/Aids leben.“ In der Klinik in Oaxaca erhielten die Patient*innen unzureichende Nahrungsportionen. In Zactecas wiederum werden den psychisch Kranken Kleidung und Schuhe vorenthalten. Und in Mexiko-Stadt wurden in der Küche Kakerlaken gefunden. Die Patient*innen haben außerdem nur begrenzt Zugang zu Lektüre und gar keinen zu Radio oder Fernsehen.

Unfreiwillige Einweisungen ohne Registrierung

Diese Zustände gestalten die ohnehin äußerst schwierigen Leben noch schwieriger. Die Gesamtpopulation aller psychiatrischen Kliniken beträgt 3.143 Menschen. Ihre Wehrlosigkeit ermöglicht es, dass Ihnen Ungeheuerlichkeiten aller Art zugefügt werden. Einer der schwersten Fälle ereignete sich im September 2011 im psychiatrischen Krankenhaus Villa Ocaranza in Tolcayuca, Hidalgo. Nach Aussagen des Personals sei eine Patientin von einem Angestellen vergewaltigt worden. Nach Angaben des CNDH werde der Fall noch untersucht.

Ein gravierendes Problem stellen außerdem unfreiwillige Einweisungen dar. In 22 der 41 Kliniken gibt es kein Register, aus dem hervorgeht, ob die zuständigen staatlichen Stellen über unfreiwillig Eingewiesene informiert werden. Im Fall von vier Kliniken enthalten die Akten von unfreiwillig eingewiesenen Patient*innen keinen Vermerk, dass, sobald der psychische Zustand dies erlaubt, ihre Einwilligung zu einem weiteren Verbleib eingeholt werden muss. In zehn der 41 untersuchten Kliniken wiederum enthält das Einwilligungsdokument keine Angaben zu Behandlung, voraussichtlicher Dauer des Aufenthaltes, Risiken und Folgeerscheinungen. In zwei Kliniken muss sogar ein Dokument unterschrieben werden, das die Klinik vorab von jeder Verantwortung freispricht.

Drastischer Personalmangel

Ein besonderes Problem ist jenes von Patient*innen, die eigentlich von ihren Angehörigen oder in Heimen gepflegt werden könnten, aber aus den unterschiedlichsten Gründen in den psychiatrischen Kliniken verbleiben. Auf der anderen Seite gibt es jene Menschen, für die überhaupt niemand da ist. Allein in der Klinik in Mexiko-Stadt gibt es 155 dieser Fälle. Dem CNDH-Bericht zufolge fehlt es in 35 der 41 Kliniken an Personal – Psychiater*innen, Ärzt*innen aller Art, Psycholog*innen, Therapeut*innen, Sozialarbeiter*innen und Krankenpfleger*innen. Der für die Patient*innen so wichtige Kontakt mit Ihren Angehörigen wird häufig erschwert: in fünf Kliniken gibt es keinerlei Raum für Besuche, in 13 ist dieser unzureichend. In sechs Fällen dürfen die Patient*innen nicht mit der Außenwelt kommunizieren, in drei Krankenhäusern wurden Folter und Misshandlung festgestellt. Die Menschenrechtskommission zählte insgesamt 17 Gesetze, Abkommen, Rechtsnormen und Konventionen, gegen die in den psychiatrischen Kliniken verstoßen wird. Hinzu kommen noch Verstöße gegen Gesetze der Einzelstaaten.

Qualifizierungsoffensive für Betreuer*innen gefordert

Die CNDH appelliert in Form von 15 „Vorschlägen“ an die Kliniken und die Behörden. Eine Reihe von Bundesstaaten betreibe zum Beispiel gar keine Einrichtung für die psychiatrische Betreuung. Der Missbrauch in den Kliniken müsse unverzüglich eingestellt werden. Mehr Personal und eine angemessene Qualifizierung seien dringend erforderlich. Die Bedürfnisse jeder einzelnen Klinik müssten kontinuierlich ermittelt werden. Außerdem sei eine klare Regelung für die Fälle der unfreiwilligen Einweisungen in psychiatrische Kliniken dringend erforderlich.

 

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