Poonal Nr. 171

Deutsche Ausgabe des wöchentlichen Pressedienstes lateinamerikanischer Agenturen Nr. 171 vom 29.11.1994

Inhalt


HAITI

MEXIKO

KUBA

LATEINAMERIKA

KOLUMBIEN

GUATEMALA


HAITI

Unterstützer des Putsches im neuen Kabinett

(Port-au-Prince, November 1994, hib-POONAL).- Die Wahl des neuen Premierministers Smarck Michel kam für Aristide einer Demütigung gleich und ist ein weiterer Beweis für die komplette Kapitulation vor der US-Regierung und der haitianischen Bourgeoisie. Im Oktober hatte er seine Wahl – Claudette Werleigh – im Land bekanntgemacht. Sofort meldeten Geschäftsleute und die US-Offiziellen ihre Bedenken an. Der Präsident mußte zurückstecken und Smarck Michel akzeptieren. Dieser ist zwar einer seiner früheren Unterstützer, vertritt jetzt aber die Unternehmerseite, die den neoliberalen Wirtschaftskurs unterstützen. Von einer Wahl kann bei ihm keine Rede sein.

In dem neuen 20 Mitglieder umfassenden Kabinett ist niemand, der die Volksbewegung repräsentiert. Schlimmer noch – es ist voll von Personen, die den Putsch unterstützten oder von ihm profitierten. Marc Henri Rousseau Francois beispielsweise, der neue Minister für Öffentliche Arbeiten, hatte nicht nur bereits unter dem ersten illegalen Regime einen Ministerposten, sondern sieht sich Vorwürfen massiver Korruption in der staatlichen Zementgesellschaft und anderen öffentlichen Einrichtungen ausgesetzt. General Wilthan Lherisson, aus dem Ruhestand als Verteidigungsminister eingesetzt, machte seine Karriere unter Francois und Jean-Claude Duvalier. Ein anderer Posten wird von einem hohen Funktionär der Nationalen Fortschrittlichen Revolutionären Haitianischen Partei (PANPRA) besetzt. Die PANPRA gehörte zu den offenen Befürwortern des Staatsstreiches und partiziperte an den folgenden Putsch-Regierungen.

Präsident Aristide macht zu große Kompromisse

Die USA haben nicht nur ihre Verbündeten und Vertreter in den Ministerien sitzen, sondern selber in allen Büros Armeeoffiziere – in Zivil – plaziert. Brigadegeneral Bruce Bingham sprach am 14. November vor Journalist*innen diesbezüglich von „dem bestgehüteten Geheimnis“ in den Streitkräfte. 30 hohe Militärs, die mit der US- Botschaft, der Interamerikanischen Entwicklungsbehörde (US-AID) und den Truppen zusammenarbeiten, geben der haitianischen Regierung Ratschläge bei „Organisations- und Verwaltungsangelegenheiten“. Sie helfen, „langfristige Unterstützungsprojekte vorzubereiten“ und diese zu „koordinieren“. Obwohl diese „Hilfe“ nur bis zum 15. Dezember vorgesehen ist, wird Binghams Team entscheiden, „welche Ministerien weitere Hilfe brauchen“.

Volksbewegung ist nicht im Kabinett vertreten Aristide scheint den Präsidentenpalast nicht ohne den US- Botschafter William Swing zu verlassen. Dieser begleitet ihn überall hin. Ein Schock war Aristides Erscheinen bei einem Gedenktag für die Armee. Diese wurde mit Musik, Reden und sogar Blumen geehrt. Dem neuen Protokoll folgend, überreichte der haitianische Präsident die Blumen allerdings als erstem dem Botschafter. In einer Rede vor jugendlichen Zuhörer*innen nannte er die bestehende „Unsicherheit“ als besonders hart für die Geschäftsleute. Bei der Erörterung von „Rechten“ erwähnte er besonders das Recht auf Eigentum und kritisierte die Landbesetzer*innen.

Die neuen Entwicklungen – der aufgedrängte Premierminister, ein Kabinett durchsetzt mit Feinden und Dieben, die US-„Berater“ und das Fehlen von Vertreter*innen der Volksbewegung – haben alle ihren Platz innerhalb von unaufhörlichen Forderungen nach „Versöhnung“ und einem kompletten Schweigen über das Thema Gerechtigkeit. Die neue Regierung bedeutet Versöhnung, aber es ist eine Versöhnung zwischen der Bourgeosie, Aristide und den US-Imperialisten. Die Volksmassen werden völlig ausgeschlossen. Ein Menschenrechtsanwalt faßte es zusammen: „Es ist unannehmbar, daß die Menschen, die für die Rückkehr der Regierung kämpften sich in der paradoxen Situation wiederfinden, von den USA gezwungen zu werden, die Kriminellen und Putschisten zu unterstützen.“

Arbeiter setzen Absetzung von Direktor durch

(Port-au-Prince, November 1994, hib-POONAL).- Nach andauernden Protesten der Arbeiter*innen gegen den neuen Direktor des staatlichen Elektrizitätsunternehmens EDH gab die Regierung schließlich nach und setzte Daniel Belizaire ab. Während der Proteste kam es zu einigen bemerkenswerten Vorgängen. Als Gewerkschaftsmitglieder Büroräume der EDH besetzt hielten, erschien Belizaire dort mit dem Sprecher der US-Botschaft, Stanley Schrager, Mitgliedern von US-AID und US-Soldaten. Die Soldaten forderten die Gewerkschafter*innen auf, die Raüme zu verlassen. Der Arbeiter Stanley Francois weigerte sich und erhielt von einem Soldaten Schläge. Als Francois sich wehrte und der Soldat dabei zu Fall kam, sprangen nach Angaben eines anderen Gewerkschafters mehrere Soldaten auf den Körper von Francois. In den Folgetagen kam Belizaire nur in Begleitung von US-Militärs in das Unternehmen. Am 11. November wurde er vom EDH-Angestellten Carl Preval abgelöst.

Oscar Arias empfiehlt Abschaffung der Armee

(Port-au-Prince, November 1994, hib-POONAL).- Oscar Arias, der frühere Präsident von Costa Rica und Friedensnobelpreisträger 1987 empfahl bei einem Haiti-Besuch, die Armee aufzulösen. Im Beisein von Jean-Bertrand Aristide sagte er: „Die haitianischen Menschen sollten sich diese Chance nicht entgehen lassen.“ Aristide antwortete darauf ausweichend, der Frieden sei „eine Symphonie mit vielen Musikinstrumenten“. Einen Tag zuvor hatte Arias vor Menschenrechtsaktivist*innen den „Einfluß der USA“ dafür verantwortlich gemacht, daß die lateinamerikanischen Länder Schwierigkeiten bei der Abrüstung ihrer Streitkräfte haben. Er äußerte sich skeptisch über die sogenannte „Professionalisierung“ der haitianischen Armee. Schließlich sei es die von den USA ausgebildete Armee gewesen, die 1991 den Putsch durchgeführt habe.

MEXIKO

Der Abschied eines Machtmenschen – Eine Bilanz der Präsidentschaft

von Salinas de Gortari

(Mexiko, 21. November 1994, POONAL).- Als Carlos Salinas de Gortari 1988 die mexikanische Präsidentschaft übernahm, traute ihm kaum jemand zu, das „Sexenio“, die sechsjährige Amtszeit, zu überstehen. Der heute 46jährige belehrte die Zweifler eines Besseren. Wenn er am 1. Dezember sein Amt an Ernesto Zedillo abgibt, steht fest: Kaum einer vor ihm hat die ohnehin schon gottgleiche Macht des mexikanischen Präsidenten mehr für sich genutzt als er. Kaum einer vor ihm hat das Land so verändert wie Salinas.

Ganz zu Anfang seiner Amtszeit brachte er einige der mächtigsten Bosse der Regierungsgewerkschaft CTM wegen Korruption hinter Gitter. Dies verschaffte ihm Respekt und in weiten Teilen der Bevölkerung Ansehen. Konsequent führte er das Land in den Folgejahren auf den Weg des Neoliberalismus. Er verkaufte Staatsunternehmen und bereitete den Boden für den Nordamerikanischen Freihandelsvertrag (NAFTA) mit den USA und Kanada vor. Daß damit die Existenzen von Millionen Menschen, besonders der Landbevölkerung, in Gefahr gerieten und geraten, nahm er „als Preis des Fortschritts“ in Kauf. Auch wer sich ihm in der eigenen Partei, der Partei der Institutionalisierten Revolution (PRI) in den Weg stellte, hatte nicht viel zu lachen. Diese Personen wurden kalt abserviert. Wer sich mit ihm auf den Weg machte, durfte dagegen auf gute Geschäfte hoffen.

Familie Salinas baute ein Medienimperium auf

Die Zahl der mexikanischen Dollarmilliardäre und vieler Neureicher in ihrem Gefolge stieg in diesem Sexenio sprunghaft. Die Familie Salinas selber wurde ebenfalls nicht ärmer. Sie baute ein Mediemimperium auf, das zunehmend dem mexikanischen Giganten „Televisa“ Konkurrenz macht. Im Ausland erwarb sich der Präsident schon nach kurzer Zeit das Ansehen eines tatkräftigen Politikers, der alte Strukturen aufbricht und Mexiko in den Weltmarkt einzugliedern bereit war.

Der sarkastische Humor der Mexikaner hat die Stellung des Präsidenten treffend im Witz charakterisiert: „Wenn der Präsident fragt: 'Welche Uhrzeit haben wir?', so lautet die Antwort: 'Die Zeit, die sie wollen'“. In der Tat liefen die Uhren in dieser Regierungsperiode nach dem Willen von Salinas. Zumindest fünf Jahre lang. Dann kam der 1. Januar 1994 mit dem Aufstand der Nationalen Zapatistischen Befreiungsarmee (EZLN) im südöstlichen Bundesstaat Chiapas. Die Rebellion konnte nicht schnell niedergeschlagen und damit unter den Teppich gekehrt werden. Zum ersten Mal begann der Glanz des Präsidenten, Kratzer zu bekommen. Die Zapatistenrebellion machte dem Land schlagartig die Misere eines Großteils der Bevölkerung klar. Zudem fand Salinas, der es gewöhnt war, mit der Opposition und der Presse zu spielen, auf der Kommunikationsebene einen zumindest ebenbürtigen Gegner. EZLN- Sprecher Subcomandante Marcos entlarvte in seinen Kommuniqu'es viele der Regierungsmitteilungen als Phrasendrescherei.

„Sexenio der politischen Morde“ Im verflixten sechsten Regierungsjahr kam es noch schlimmer für den Präsidenten. Der Mord am PRI-Präsidentschaftskanidaten Luis Donaldo Colosio befleckte die weiße Weste von Salinas weiter. Die Wochenzeitschrift „Proceso“ bezeichnete auf einer ihrer Titelseiten seine Amtszeit als „Sexenio der politischen Morde“. Die EZLN beschuldigte den Präsidenten mehrmals, für den bis heute nicht aufgeklärten Mord verantwortlich zu sein, um an der Macht bleiben zu können.

Wenige Monate später verdunkelte sich auch die strahlende Wirtschaftsbilanz. Dem Bankrott der großen Finanzgruppe „Havre“ folgte Wochen später ein Banken- und Korruptionsskandal. In beiden Fällen waren unter den Bösewichtern auch Günstlinge des Präsidenten. Der vom Freihandelsvertrag erwartete große wirtschaftliche Aufschwung stellte sich bisher nicht ein. Dagegen nennen selbst Unternehmerinstitutionen die Zahl von 20 Millionen Mexikanern in extremer Armut. Das ist fast ein Viertel der Gesamtbevölkerung.

Den Präsidentschaftswahlen vom August dieses Jahres haftet der Geruch von Wahlbetrug und „unfairem Wettbewerb“ an. Der Versuch von Salinas und seiner Regierungsfunktionäre, die Wahlen als demokratisches Beispiel für ganz Lateinamerika darzustellen, hatte nicht das erwartete Echo. Ende September folgte der Mord am Generalsekretär der Partei der Institutionalisierten Revolution. Inzwischen wird nicht mehr bezweifelt, daß die Mörder in den eigenen Reihen – und in den obersten – sitzen. Beim Kampf um Vertuschung oder Aufklärung des Verbrechens steht die Partei von Salinas vor einer inneren Zerreissprobe.

Subcomandante Marcos: Salinas Schizophrenie macht Denken unmöglich

Jeden anderen Präsidenten hätten die Vorgänge dieses Jahres vielleicht zum Aufgeben bewegt. Nicht jedoch Salinas. Tag für Tag erscheint er in und vor der Presse. Wo es etwas Neues einzuweihen gibt, ist er dabei. Sein mit Spannung erwarteter Jahresbericht zum 1. November zeichnete ein durchweg positives Bild des Landes. Entgegen der Tradition zog er sich im letzten Monat seiner Amtszeit nicht aus der Öffentlichkeit zurück, sondern stiehlt weiterhin seinem Nachfolger Ernesto Zedillo die Schau. Subcomandante Marcos bezeichnete Salinas in seinem jüngsten Kommuniqué als eine Person mit dem „Krankheitsbild einer verschärften Schizophrenie“. Die Arroganz der Macht mache ihm jedes vernünftige Denken unmöglich.

Es ist nicht auszuschließen, daß der Noch-Präsident versucht, im nächsten Sexenio die Fäden aus dem Hintergrund weiterzuziehen, weil er von der Macht nicht lassen kann. Allerdings bietet sich ihm eine attraktive Alternative. Auf internationaler Ebene verursachen Machtbewußtsein und Selbsterhaltungstrieb von Carlos Salinas de Gortari nach wie vor großen Eindruck. Für viele ist er daher der Favorit auf den Vorsitz der Welthandelsorganisation, der Nachfolgeinstitution des Allgemeinen Zoll- und Handelsabkommens GATT. Wenn Salinas geht, so hinterläßt er ein innerlich gespaltenes Land, dem die größten Zerreissproben noch bevorstehen.

KUBA

Trotz schlechter Zuckerrohrernte positive Wirtschaftsprognose

– Von Elsy Fors

(Havanna, November 1994, prensa latina-POONAL).- Die kubanische Wirtschaft beendet das Jahr 1994 mit einem Minus beim Zuckerrohranbau. Die öffentlichen Finanzen scheinen derweil zu gesunden. Für Auslandsinvestitionen gewinnt die Insel zunehmend an Attraktivität. Vizepräsident Raul Castro nannte die augenblickliche Hauptaufgabe des kubanischen Projektes das „Überleben“. Er versicherte: „Wenn es um die Ernährung der Bevölkerung geht, sind die Risiken unwichtig.“ Diese Risiken beziehen sich auf die Marktmechanismen, die 1994 in der Landwirtschaft und im Binnenhandel verstärkt eingeführt wurden.

Das kubanische Parlament, die „Asamblea Nacional del Poder Popular“, bemüht sich unterdessen den Sozialismus neu zu bestimmen. Danach soll der Sozialismus mehr auf die spezifische Lage der Kubaner*innen eingehen und sich den Klassikern des Marxismus nähern, anstatt den Irrweg eines Realsozialismus, wie er in der ehemaligen Sowjetunion beschritten wurde, weiter zu verfolgen. Die Regierungsstrateg*innen scheinen den Übergang in ein System anzustreben, in dem die Staatsunternehmen gewinnträchtig werden und die Bevölkerung über Steuern und eine höhere Arbeitsproduktivität zur finanziellen Stabilität beiträgt. Dadurch erhofft man sich eine Neubelebung der Wirtschaft.

Schlechteste Zuckerrohrernte seit 1963

Offizielle Quellen haben angekündigt, die Subventionen würden 1995 um 40 Prozent im Vergleich zu 1994 gekürzt. 1996 sollen sie ganz abgeschafft werden. Wenn die Unternehmen dann nicht mit Gewinn arbeiten werden sie schließen müssen. Eine der erhofften Wirkungen der seit kurzem bestehenden Landwirtschafts- und Industriemärkte ist, daß die staatlichen Unternehmen den Wegfall der Subventionen durch den Verkauf von Überschüssen ausgleichen können. Seit Anfang Oktober müssen die Kubaner*innen zudem zum ersten Mal nach 35 Jahren wieder Steuern bei bestimmten Einkünften und Tätigkeiten zahlen. 1995 wird die Liste der steuerpflichtigen Aktivitäten ausgeweitet werden.

Die im Oktober gemachten Prognosen, die von einer Zuckerrohrernte in Höhe von 3,5 Millionen Tonnen ausgingen, werden von kubanischen Expert*innen inzwischen als optimistisch eingeschätzt. Alles deutet auf die schlechteste Ernte mindestens seit 1963 hin. Damals kamen 3,8 Millionen Tonnen Zuckerrohr zusammen. Funktionär*innen des Zuckerministeriums machen interne Fehler und Unzulänglichkeiten für das Ergebnis verantwortlich. Die kubanischen Importe nahmen in dem Zeitraum von 1989 bis 1993 um mehr als 70 Prozent ab. Als Grund dafür wird der Rückgang des Bruttosozialproduktes in dieser Zeit auf die Hälfte des Wertes von 1989 genannt. Bei den Exporten zeichnet sich 1994 ein bescheidenes Wachstum von 3,5 Prozent zum Vorjahr ab. Dies deutet auf eine leichte wirtschaftlichen Erholung hin.

Tourismus, Ölförderung und Nickelproduktion sind Wachstumsbranchen

Mit der Öffnung gegenüber dem Auslandskapital stieg die Zahl ausländischer Unternehmensvertretungen zum Ende des Jahres auf mehr als 500. Es gibt 165 Wirtschaftsgesellschaften, an denen Auslandskapital beteiligt ist. Von den Dezentralisierungsmaßnahmen in der Landwirtschaft wird eine entscheidende Wirkung für den wichtigsten kubanischen Wirtschaftszweig erwartet. Staatsländereien wurden in Genossenschaften umgewandelt und den kleinen Produzent*innen wird mehr Mitspracherecht eingeräumt.

Die einzigen Wirtschaftszweige mit Wachstumsraten in diesem Jahr sind der Tourismus, die Ölförderung und die Nickelproduktion. Auf diese Bereiche konzentriert sich der Großteil der ausländischen Investitionen im Land. Die Entwicklung der Biotechnologie, der ein großes Potential zugeschrieben wird, hat sich noch nicht so bemerkbar gemacht. Die Formalitäten für den Markteintritt dieser Produkte sind noch nicht abgeschlossen.

Das Panorama zeigt nach Ansicht einiger Expert*innen die Hoffnung auf eine bessere Zukunft. Sie gehen jedoch davon aus, daß die positiven Wirkungen erst Ende dieses Jahrhunderts sichtbar werden.

LATEINAMERIKA

Geordneter Rückzug: Die Streitkräfte dulden zivile Regierungen,

ohne aber ihre Macht preiszugeben (Teil I)

(Lima, Oktober 1994, noticias aliadas-POONAL).- Die peruanische Presseagentur „noticias aliadas“, seit kurzem POONAL-Mitglied, befaßt sich in einer Sonderausgabe mit der Rolle und dem Zustand der Streitkräfte in Lateinamerika. Wir veröffentlichen die Analyse in zwei Teilen. Der erste Teil beschäftigt sich mit den Folgen des Zusammenbruchs der Sowjetunion für die Armeen in Lateinamerika. Welche Rolle spielen sie in der nordamerikanischen Strategie? Einst als Bollwerk gegen den Kommunismus hochgerüstet, scheinen sie nun die hohen Militärausgaben nicht mehr rechtfertigen zu können. Der zweite Teil geht dann detailliert auf die Situation in den jeweiligen Ländern ein.

Während der 70er und 80er Jahre wurden sie ausgebildet, die kommunistische Gefahr zu bekämpfen. Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion und ihrer Verbündeten blieben die lateinamerikanischen Streitkräfte ohne Feinde und ohne klare Aufgaben. Die Militärs machen eine Identitätskrise durch. Die Rolle der Streitkräfte ist zweifelhaft geworden. Nimmt man die Anwendung der neoliberalen Wirtschaftspolitik dazu, die gekürzte Militärausgaben und -Löhne einschließt, so bedeutet dies für die Macht und die Vorherrschaft der Militärs eine beispiellose Bedrohung.

Die Armeen in der Identitätskrise

Die blutigen Militärdiktaturen, die als Bollwerke gegen den Kommunismus von den USA unterstützt wurden, mußten angesichts des wachsenden inneren Widerstandes und aufgrund der allgemeinen Ablehnung der krassen Menschenrechtsverletzungen, die Macht abgeben. Die Veränderungen in der internationalen Politik taten das ihre dazu. Die Regierung der USA, die einzige Supermacht in der neuen Weltordnung, kündigte 1993 ihre neue Politik an, jene Länder politisch und wirtschaftlich zu isolieren, die sich einer demokratischen und marktwirtschaftlich Orientierung weiterhin verschließen. Die ökonomisch von den USA abhängigen Streitkräfte verstanden die Botschaft. Jeder Versuch, in den Präsidentenpalast zurückzukehren, hätte Sanktionen der Hegemonialmacht zur Folge.

Obwohl die Demokratie in der Region aufblühte, ist sie institutionell immer noch schwach. Viele Fragen über die Beziehungen zwischen Zivilist*innen und den Militärs bleiben offen. Nach Reni Dreifuss, dem brasilianischen Politikbeobachter, gibt es die Idee des klar identifizierten Feindes nicht mehr. Im neuen lateinamerikanischen Kontext müßten die Aufgaben der Streitkräfte von der zivilen Staatsmacht definiert werden.

Neue Marschroute: Krieg gegen Drogen statt Krieg gegen Kommunismus

In der Militärsprache der 90er Jahre müssen sich die Streitkräfte theoretisch der militärischen Sicherheit widmen und die von der zivilen Macht in Auftrag gegegenen Missionen durchführen. Dazu gehören die Beteiligung an internationalen Einsätzen – lateinamerikanische Truppen nahmen am Krieg im persischen Golf (1990-91) und an der kürzlichen Besatzung Haitis teil -, Militärmanöver und der Kampf gegen innere Feinde. In anderen Fällen wurden die Militärs damit beauftragt, Lebensmittel unter den Armen zu verteilen und Straßen zu bauen. Aber wenige gehen davon aus, daß die lateinamerikanischen Armeen, an Macht und Privilegien gewöhnt, sich mit einer so begrenzten und uneigennützigen Rolle zufriedengeben.

In einigen Ländern wie Kolumbien und Peru wurde der Krieg gegen den Kommunismus durch den Krieg gegen die Drogen ersetzt. Der Feind ist der Narco-Terrorismus. Die Bewilligung großer Geldsummen und die breite Mitarbeit der US-Drogenbekämpfungsbehörde DEA verzerrten die Ziele und Methoden vieler Armeen. Sie erfüllten die Vorgaben der DEA. Die Korruption erhöhte sich. In Ländern wie Argentinien, Bolivien, Venezuela und Mexiko übernahmen die Militärs die Rolle der Polizeikräfte und schlugen Aufstände nieder, die durch die wirtschaftliche Krise und die Armut hervorgerufen wurden. In Chiapas, Mexiko, agierte die mexikanische Armee, um den Indígena-Aufstand vom 1. Januar 1994 zu unterdrücken. In diesem Fall wandelten sich die Militärs zu Wächtern der neoliberalen Ordnung.

Im vergangenen August gingen in Santiago del Estero, im Norden Argentiniens, kombinierte Polizei- und Armeetruppen gegen die von den Staatsbeschäftigten angeführten Massenmobilisierungen vor. Die Arbeiter*innen protestierten gegen ausbleibende Lohnzahlungen und gegen die Folgen des wirtschaftlichen Anpassungsprogrammes von 1989. Bei dem Armeeeinsatz wurden neun Menschen getötet und dutzende verletzt. Zur Zeit geht das Gerücht um, daß die Regierung die Streitkräfte in eine Nationalgarde umwandeln will. Das Ziel: Volksaufstände bekämpfen.

Die Armee als Wächter der neoliberalen Ordnung

In Bolivien attackierte die Armee im September einen Marsch der Campesinos, die gegen die von den USA in dem Land durchgesetzte Anti-Drogenpolitik protestierten. In Venezuela starben 1989 etwa 300 Personen, als Militärs auf tausende Demonstrant*innen schossen, die gegen das strukturelle Anpassungsprogramm auf die Straße gingen. Die Menschenrechtsverteidiger*innen bewerteten das als einen Versuch der Regierung, die Bevölkerung, die sich gegen die soziale Ungerechtigkeit wandte, einzuschüchtern. Drei Jahre später, mitten in einer schweren Wirtschaftskrise des Landes, versuchte eine Gruppe von Militärs, die nicht mit den Kürzungen des Militärhaushaltes einverstanden war, zweimal die verfassungsmässige Regierung zu stürzen. Die venezolanische Demokratie überlebte, doch sie hängt an einem seidenen Faden.

In Brasilien ist die Armee bereit einzuschreiten: in den Favelas, den Armenvierteln, die die großen Städte des Landes umgeben. Das Argument: die Bekämpfung des Drogenhandels. Ein hoher Richter erklärte, nur die Streitkräfte könnten die Ordnung in den Favelas wiederherstellen. In Honduras und Ecuador stellten sich die Militärs auf die neuen Zeiten ein und betätigen sich in der Geschäftswelt. Sie erlangen eine zunehmend größer werdende wirtschaftliche Macht und natürlich ein Interesse, die ökonomische Ordnung zu schützen. Die haitianischen Militärs dagegen antworteten auf die demokratischen Forderungen mit einem blutigen Staatsstreich gegen den Präsidenten Jean-Bertrand Aristide. Sie lösten eine Terrorwelle gegen die demokratischen Kräfte aus.

Die Streitkräfte akzeptieren keine zivile Kontrolle und wehren sich erfolgreich gegen gerichtliche Ermittlungen

Die lateinamerikanischen Streitkräfte haben den Präsidentenpalast verlassen, aber die zivile Kontrolle nicht akzeptiert. Sie üben weiterhin großen Einfluß auf die demokratischen Regierungen aus. Das beste Beispiel dafür ist vielleicht die „Impunidad“, die Straffreiheit. Die lateinamerikanischen Militärs haben es mit Erfolg zurückgewiesen, von zivilen Gerichten für die begangenen Verbrechen während der Jahre der schmutzigen Kriege verurteilt zu werden. Immer wenn die demokratischen Regierungen dies versuchten, drohten die Streitkräfte mit Putsch. 1993, als der peruanische Kongreß den Streitkräftechef in den Zeugenstand rief, um über das Verschwinden von neuen Student*innen und eines Dozenten der Universität Enrique Guzman y Valle auszusagen, fuhren Armeepanzer durch Lima, um die Parlamentarier*innen einzuschüchtern. Die Militärs akzeptierten keine durch ein Zivilgericht geleitete Untersuchung. Der Fall wurde in die Hände eines Militärgerichtes übergeben.

In Chile, Argentinien, Uruguay und Brasilien schenkten die Streitkräfte den Forderungen nach der Verurteilung und Bestrafung der Verantwortlichen für das „Verschwindenlassen“ von tausenden Menschen während des schmutzigen Krieges keine Beachtung. Im Gegenteil: für die darin verwickelt Militärs wurden Amnestiegesetze verabschiedet. Im Mai 1993 marschierten Soldaten der Eliteeinheit „Boinas Negras“ durch die chilenische Hauptstadt. Sie forderten unter anderem, die Prozesse gegen rund 500 Mitglieder der Streitkräfte, die Menschenrechtsverletzungen begangen hatten, einzustellen. Dieser „Boinazo“ genannte Militäraufmarsch versuchte den gewählten Autoritäten zu zeigen, in wessen Händen sich die Macht tatsächlich befindet. In El Salvador verabschiedete das Parlament – mit der Unterstützung der ehemaligen Guerillabewegung Nationale Befreiungsfront Farabundi Marti (FMLN) – eine Amnestie für die Verantwortlichen der Menschenrechtsverletzungen während des über zehnjährigen Krieges in dem Land.

Das Fortbestehen der Straffreiheit für die Militärs und die Unfähigkeit der zivilen Regierungen, die Streitkräfte ihrer Autorität zu unterstellen, machen die Schwäche der Demokratien in der Region mehr als deutlich. Obwohl die Militärs nicht mehr vom Putsch träumen – mit Ausnahme von Venezuela, Peru, Guatemala und Haiti – sind sie weit davon entfernt, die zivile Gewalt passiv zu akzeptieren und sich am Rande der Macht zu halten. Das, was in der neuen politischen Realität Lateinamerikas vielleicht die größte Aufmerksamkeit hervorruft, ist die Bildung von zivil-militärischen Regierungen oder autoritären Demokratien: Dort teilen die gewählten Präsidenten die Macht mit den Streitkräften. Die taufrischen lateinamerikanischen Demokratien sind noch brüchig, mit einem schwachen politischen und Justizsystem. In einigen Fällen haben die Regierungen nicht genug Kraft, sich den umstrittenen Anpassungsprogrammen des Internationalen Währungsfonds entgegenzustellen. Genauso wenig haben sie die Fähigkeit, die Volkserhebungen zu verhindern, die eine Folge dieser Wirtschaftsmaßnahmen sind.

Die „Fujimorisierung“ kommt in Mode

Im April 1992 führte führte der peruanische Präsident Alberto Fujimori seinen in der Folgezeit heißdiskutieren „autogolpe“ (Eigenputsch) durch, der von einem Teil der Militärs unterstützt wurde. Er löste den Kongreß auf und strukturierte das Justizwesen völlig neu. Zur Zeit regiert er mit der Rückendeckung durch die Streitkräfte und beherrscht die Opposition nach Belieben. Nach geheimen Dokumenten, die einheimische Zeitschriften inzwischen veröffentlichten, entwickelten die peruanischen Militärs zwischen 1988 und 1990 einen Plan, um gemeinsam mit Zivilist*innen zu regieren. „Die Streitkräfte bestimmen, wohin das Auto Staat fährt, um die langfristigen nationalen Ziele zu erreichen. Sie beschäftigen die besten Chauffeure, d.h. Zivilist*innen, um den Wagen zu lenken.“ So heißt es im Plan „Peru ins 21. Jahrhundert bringen“, aus dem die Zeitschrift „Oiga“ zitierte. Das Phänomen ist als Begriff „Fujimorisierung“ bekannt geworden. 1993 versuchte der damalige guatemaltekische Präsident Jorge Serrano einen autogolpe zusammen mit den härtesten Flügeln der Armee, er scheiterte allerdings. In Paraguay und Venezuela gab es ebenfalls Gerüchte über autogolpes im Fujimori-Stil.

In einem zivil-militärischen Regime kommen die Streitkräfte wieder an die Macht, indem sie durch eine demokratisch gewählte Figur regieren. In Guatemala gibt es zur Zeit hinter einem schwachen Präsidenten starke Streitkräfte. Genauso wie Fujimori übernahm der Präsident Ramiro De León Carpio das Amt ohne Unterstützung der Basis und mit der zynischen Hilfe des moderaten Flügels der Armee. Er enttäuschte diejenigen, die dachten, als ehemaliger Menschenrechtsbeauftragter könne er die Militärs kontrollieren. An die Vorreiterrolle auf der politischen Bühne gewöhnt, haben sich die lateinamerikanischen Streitkräfte nicht untätig in ihre Kasernen zurückgezogen. Im Hintergrund der demokratischen Institutionen der Region ist der Lärm der Panzer nach wie vor zu hören. Die Militärs sind verwirrt, bedroht und unsicher über ihre Rolle in den 90er Jahren, aber die Definition ihrer Rolle ist eine unerläßliche Bedingung für ein stabiles und demokratisches Lateinamerika kurz vor dem Anbruch eines neuen Jahrtausends.

Zehn Empfehlungen, wie man einen Putsch vermeidet

In seinem Buch „Die Dritte Welle. Demokratisierung im späten 21. Jahrhundert“ bietet Samuel P. Huntington den putsch-gefährdeten Regierungschefs zehn Empfehlungen an, wie sie einen Staatsstreich vermeiden und ihm widerstehen können.

1. Säubere so schnell wie möglich die Streitkräfte vom gesamten Teil des Offizierskorps, der der Regierung nicht ergeben ist. Schließe dabei die Hauptanhänger des vorherigen Regimes ein, wenn es autoritär war und auch die reformerischen Militärs, die Dich unterstützen, um die derzeitige demokratische Regierung zu bilden. Letztere verlieren schneller die Lust an der Demokratie als an der politischen Betätigung.

2. Bestrafe die Führer der Putschversuche innerhalb Deiner Regierung streng. Dies entmutigt die nächsten.

3. Konsolidiere die Hierachie in den Streitkräften und lege sie klar fest. Befreie sie von Zweifeln und dulde keine Unregelmäßigkeiten. Laß deutlich wissen, daß der zivile Führer in der Regierung der Oberkommandierende ist.

4. Reduziere die Größe der Streitkräfte. Eine Armee, die an der Regierung war, ist im allgemeinen zu groß und hat zuviele Offiziere.

5. Deine Militäroffiziere denken, daß sie schlecht bezahlt und schlecht betreut werden. Wahrscheinlich haben sie recht. Gebrauche das Geld, das Du bei der Reduzierung des Offizierskorps sparst, um den bleibenden Offizieren bessere Löhne zu zahlen und ihre Lebensqualität zu erhöhen. Das ist eine Investition, die sich schnell bezahlt macht.

6. Gib Deinen Streitkräften eine Neuorientierung auf rein militärische Aufgaben. Vielleicht ziehst Du es vor, alte Konflikte mit anderen Ländern zu lösen. Falls es eine äußere Bedrohung nicht gibt, versuche es mit irgendeiner speziell militärischen Mission für die Streitkräfte. Bringe den Nutzen einer Antwort auf eine äußere Bedrohung mit den möglichen Kosten der Instabilität zu Hause ins Gleichgewicht.

7. Wenn Du den Aufgabenbereich der Streitkräfte neu festlegst, reduziere gleichzeitig die in der Hauptstadt stationierten Truppen drastisch. Bewege sie an die Grenzen oder andere entfernte Punkte des Landes.

8. Gib ihnen Spielzeuge, d.h. versorge sie mit Panzern, Flugzeugen, gepanzerten Fahrzeugen, Artillerie und ausgeklügelten elektronischen Einrichtungen. Die neue Ausrüstung wird sie zufrieden und beschäftigt halten, indem sie versuchen, die Handhabung zu verstehen. Gib nichts für Kriegsschiffe aus, die Marine führt gewöhnlicherweise keinen Staatsstreich aus.

9. Suche alle möglichen Gelegenheiten, Dich mit den Streitkräften zu identifizieren. Den Militäroffizieren gefällt es wie allen anderen in der Welt auch, geachtet zu werden. Wohne den Zeremonien, den Ordensverleihungen bei, vergebe Auszeichnungen und laß Dich sogar ab und zu in Uniform sehen.

10. Entwickle eine starke politische Organisation, die in der Lage ist, ihre Anhängerschaft im Falle eines Staatsstreiches in den Straßen zu mobilisieren.

Wenn Du diese zehn Regeln befolgst, kannst Du vielleicht einen Putsch nicht verhindern, aber es ist ziemlich sicher, daß Du ihn überstehst. Zumindest bis Ende 1990 befolgten unter anderem die Peruaner Alan García und Alberto Fujimori sowie Raúl Alfonsín und Carlos Menem aus Argentinien diese Regeln und hielten sich an der Regierung. In diesen Ländern ist dies kein geringer Erfolg.

KOLUMBIEN

Der soziale Sprung- für die Frauen ein Sprung ins Leere?

– Von Socorro Ramirez

(Bogota, November 1994, fempress-POONAL).- Der soziale Sprung – von Ernesto Samper in seiner Präsidentschaftskampagne versprochen und als Priorität seiner Regierungsarbeit angekündigt – soll Ungleichheiten verringern, die weite Teile der Gesellschaft an den Rand gedrängt haben. Eines der Programme für diesen Sprung ist die „Beteiligungs- und Gleichberechtigungspolitik für die Frau“, festgeschrieben im Dokument Nr. 2726 des Nationalrates für Wirtschafts- und Sozialpolitik (CONPES). Dieses Programm wird als „eine neue Aktionsstrategie gegen Ungleichheit zwischen Männern und Frauen und für die Bezahlung der sozialen Schuld gegenüber den Frauen“ definiert.

Das Dokument beginnt mit der Auflistung jener Punkte, die die Situation der ärmsten Frauen chararkterisieren: Die prekäre Arbeitsmarktlage und Beschäftigungsqualität, der mangelnde Gesundheitsschutz, die Gewalt und Straflosigkeit der Täter und die Schwäche der Institutionen und Behörden. Danach werden die Ziele beschrieben: Frauen sollen durch die Politik künftig stärker gefördert und damit die Chancengleichheit hergestellt werden, die Prinzipien von Gleichheit und Partizipation sollen in den Entwicklungsplan eingeführt werden, Programme für die speziellen Bedürfnisse der ärmsten Frauen sollen angeboten werden, die Gesundheits- und Bildungsangeboten erweitert und die Integration in den Arbeitsmarkt verbessert werden.

Diese Ziele sollen durch fünf Aktionsprogramme realisiert werden, unter anderen ein Programm für die Beteiligung der Frau am Arbeitsmarkt, ganzheitliche Gesundheit für die Frauen, rechtlicher Schutz sowie die Verbesserung der Bedingungen für Hausarbeit. Für die Initiierung und Koordinierung der Programme wurde eine Kommission für die Beteiligung und Gleichheit der Frau geschaffen, dem unter anderen ein Minister und der Direktor des Familienwohlfahrtsinstitutes angehören. Das nationale Planungsressort wird die Programme und deren Auswirkungen überwachen.

Trotz des guten Ansatzes wurde jedoch auch Kritik an den Programmen laut. So wurden etwa unabhängige Frauengruppen, die sich schon seit langer Zeit mit der Benachteiligung von Frauen beschäftigen, nicht in die Planung einbezogen. Die Bildung zahlreicher administrativer Gremien droht zu einer Bürokratisierung zu führen, die die Umsetzung der Programme hemmen könnte. Zudem wurde zwar anfangs Kontakt mit dem nationalen Frauennetzwerk aufgenommen, dann jedoch wieder abgebrochen.

GUATEMALA

Präsident Carpio: Zivilpatrouillen sind notwendig

(Guatemala, 25. November 1994, NG-POONAL).- Präsident Ramiro De León Carpio hat, wie kurz zuvor schon Verteidigungsminister Mario Enríquez, die Auflösung der paramilitärischen Zivilpatrouillen (PAC) abgelehnt. Dies hatte die UNO-Menschenrechtsexpertin Monica Pinto empfohlen. Carpio meinte, diejenigen, die die Abschaffung der PAC forderten, seien realitätsfern. Die Patrouillen seien notwendig, um den Vormarsch der Aufständischen zu verhindern. Der Präsident machte unter anderem die Unterzeichnung eines endgültigen Friedensabkommens und die Demobilisierung der Guerilla zur Vorbedingung.

Die UNO-Abgesandte wiederholte ihre Aussage, die Regierung habe die Empfehlungen der Vereinten Nationen bezüglich der Politik gegenüber den Menschenrechtsverletzungen nicht befolgt. Unterdessen erklärten in dem Ort Pueblo Nuevo, Provinz San Marcos, 51 Campesinos vor den Augen der UNO-Mission zur Internationalen Überprüfung der Menschenrechte in Guatemala (MINUGUA) ihren Austritt aus den Zivilpatrouillen.

Rosada: Friedensverhandlungen werden Staat nicht verändern

(Guatemala, 24. November 1994, cerigua-POONAL).- Mit den Friedensverhandlungen „wird sich weder der guatemaltekische Staat wandeln noch die Verfassung ändern“, versicherte Héctor Rosada, Leiter der Kommission der Regierung bei den Gesprächen mit der Guerilla. Rosada will nach Angaben in der Tageszeitung „La República“ die UNO um eine Bewertung der Verhandlungen bitten. Der Vermittler Jean Arnault sei bereits informiert. Er kündigte an, ohne eine Friedensunterschrift in diesem Jahr werde er der UNO sagen: „Es wurde reichlich verhandelt.“ Die Tageszeitung „La Hora“ berichtete über weitere Erklärungen von Rosada, in denen er auf die „Einmischung“ eines Landes aus „der Gruppe der befreundeten Länder“ anspielte. Ohne den Namen zu nennen, zielte er offensichtlich auf die USA. Diese haben in jüngster Zeit verstärkt nach dem Aufenthalt des Guerillakommandanten Bámaca gefragt, der in einem geheimen Kerker in einer Militärbase vermutet wird.

Mord und Entführung trotz UNO-Mission

(Guatemala, 23. November 1994, cerigua-POONAL).- In den ersten zwei Tagen nach dem offiziellen Arbeitsbeginn der UNO-Mission zur Internationalen Überprüfung der Menschenrechte in Guatemala (MINUGUA) ging die Gewalt im Land weiter: Es wurden zwei Morde und eine Entführung bekannt. In der Hauptstadt wurde die Leiche einer bisher nicht identifizierten Frau gefunden. Sie starb durch Schläge und Machetenhiebe. In der Stadt Melchor de Mencos in der Provinz Petén erschossen Unbekannte die Politikerin Paula Castillo von der christdemokratischen Partei. In Guatemala-Stadt entführten mehrere schwerbewaffnete Männer die Schwester des Präsidenten der Banco del Café.

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