Poonal Nr. 042

Deutsche Ausgabe des wöchentlichen Pressedienstes lateinamerikanischer Agenturen Nr. 42 vom 04.05.1992

Inhalt


GUATEMALA

EL SALVADOR

VENEZUELA

ARGENTINIEN

BRASILIEN


GUATEMALA

 Die Cholera breitet sich aus

(Guatemala, 29.4.1992, Cerigua-POONAL).- Die guatematelkischen Gesundheitsbehörden scheinen der Ausbreitung der Cholera zunehmend hilflos gegenüberzustehen. Das Gesundheitsamt der südlich von Guatemala-Stadt gelegenen Provinz Suchitepéquez warnte am 28. April in einem Hilferuf vor einem Massensterben. Allein in den letzten Tagen seien mehr als 300 Cholera-Fälle registriert worden. In Teilen der Hauptstadt wurde der Notstand ausgerufen, da die Krankenhäuser überlastet sind. Die ersten Choleraerkrankungen wurden in Guatemala im Juli 1991 bekannt. Seitdem hat sich die Krankheit langsam, aber beständig ausgebreitet. Von der Cholera sind vor allem die armen Bevölkerungsschichten betroffen. Einem der Bericht der UNO zufolge leben 87 Prozent der Guatemaltek*innen in Armut; mehr als 6 Millionen Menschen müssen ohne medizinische Versorgung auskommen; 3,6 Millionen werden nicht mit Trinkwasser versorgt und 4 Millionen verfügen nicht über angemessene hygienische Einrichtungen. Eunice Lima, die Jugendbeauftragte der Regierung, sagte, in Guatemala sterben rund 300 000 Menschen jedes Jahr an Ernährungsmangel und unangemessener medizinischer Versorgung.

Angesichts der miserablen medizinischen und sanitären Versorgung der Bevölkerung kann die rasche Ausbreitung der Cholera nicht überraschen. Für die rund zehn Millionen Einwohner des Landes stehen 35 nationale Krankenhäuser, die jeweils rund 1000 Patient*innen aufnehmen können, zur Verfüguung. Die meisten, ohnehin überlasteten Hospitäler befinden sich zudem in akuter Finanznot und verfügen nicht über ausreichendes Personal. Die Krankenhäuser in Coatepeque und Escuintla klagen seit Wochen über einen Mangel an Trinkwasser. In dem Hospital Roosevelt starben bereits vier Kinder, die durch unsauberes Wasser vergiftet wurden. „Wir befinden uns in einem nationalen Notstand. Wir können die Cholera nicht bekämpfen, denn die Patienten brauchen Wasser und das haben wir nicht“, erklärte ein Arzt. Das Viertel „El Milagro“ am Rande der guatemaltekischen Hautpstadt wurde am 25. April zum Notstandsgebiet erklärt, nachdem 50 Cholera-Fälle bekannt geworden waren. Am gleichen Tag wurde eine Ausfuhrsperre über einen anderen stark bevölkerten Stadtteil im Süden verhängt. Dort waren 24 Menschen an Cholera erkrankt. Der Gesundheitsminister Miguel Montepeque erklärte indes, die Krankheit sei unter Kontrolle. Die Lage in den Krankenhäusern gebe keinen Anlaß zure Sorge. „Ich habe mit den Direktoren der Hospitäler gesprochen, das einzige Problem besteht in Escuintla“, sagte der Gesundheitsminister. Das medizinische Personal und die Feuerwehr haben jedoch die Bevölkerung aufgefordert, die Patient*innen nicht mehr in die städtischen Krankenhäuser einzuliefern, da einige Abteilungen schon hoffnungslos überfordert seien. Es sei nicht auszuschließen, daß einige Abteilungen schließen müßten. Komplizierte Operationen könnten bereits seit dem 4. März nicht mehr durchgeführt werden. Gesundheitsminister Montepeque gab bekannt, daß medizinische Geräte und Medikamente im Wert von 700 Millionen Dollar eingetroffen seien. Zudem sei in der Gemeinde Chupol in der Provinz Chichicastenango ein neues Gesundheitszentrum eröffnet worden. Dieses Zentrum, das nach 12 Jahren Bauzeit fertiggestellt wurde, soll 23 000 Patient*innen aus 17 Gemeinden versorgen.

 

EL SALVADOR

 FMLN: Regierung unterläuft Entmilitärisierung

(San Salvador, 25.April 1992, Salpress-POONAL).- Die Frente Farabundo Marti (FMLN) hat die Regierung El Salvadors vor den Vereinten Nationen beschuldigt, die am 16. Januar dieses Jahres abgeschlossenen Friedensverträge nicht einzuhalten. „Wir sind sehr besorgt über die gravierenden Verstöße gegen das Abkommen“, sagte der Rebellenführer Schafik Handal, der die FMLN-Delegation anführte. Vor allem die Streitkräfte zeigten einen festen Willen, die Vereinbarungen wertlos zu machen, indem sie die Entmilitarisierung und die Reform der Armee unterliefen, kritisierte Handal gegenüber dem Generalsekretär der UNO für Friedensoperationen, Marrack Goulding, und den Botschaftern Mexikos, Spaniens, Kolumbiens, Venezuelas und der Vereinigten Staaten während eines viertägigen Besuchs in New York. Nach Aussagen Handals fand der Besuch „mit der Idee statt, die Abkommen in Sinn und Wort zu retten.“ Die Treffen seien „fruchtbringend und hoffnungsvoll“ gewesen, sagte der FMLN- Kommandant nach Abschluß der Gespräche mit den Funktionären der UNO und den Diplomaten. Der Vizeverteidigungsminister General Orlando Zepeda bezeichnete den Besuch der FMLN bei der UNO als „propagandistischen und demagogischen Akt“. Die gravierendsten Verstöße gegen die Friedensverträge gingen von der FMLN aus, denn sie habe sich nicht in die 15 vereinbarten Gebiete zurückgezogen, sie lege geheime Waffendepots an und heize die Landkonflikte an, sagte er. Igbal Riza, der Chef der Beobachterkommission der UNO (ONUSAL), sagte, die Treffen der FMLN mit der UNO seien „nicht besorgniserregend“, denn „es ist normal, daß beide Seiten einige Punkte der Abkommen klären wollen.“ Auch Präsident Cristiani wird in der kommenden Woche eine Regierungsdelegation zum Sitz der UNO schicken.

 

 Militärmanöver der USA vor der Küste

(San Salvador, 26.April 1992, Salpress-POONAL).- Die salvadorianischen Marineverbände wollen vom 2. bis 18. Mai gemeinsame Militärmanöver mit den Vereinigten Staaten vor der Küste des Landes durchführen. Der Verteidigungsminister General Ponce legte der gesetzgebenden Versammlung am 23. April einen Antrag vor, der die Präsenz US-amerikanischer Kriegsschiffe im Golf von Fonseca legitimiert und gemeinsame Seemanöver ermöglicht. Die Frente Farabundo Marti (FMLN) bezeichnete die Pläne des Verteidigungsministers als „offene Provokation“ und als eine „Ohrfeige für die Hoffnungen des Landes“. In dieser für die Befriedung des Landes so kritischen Situation eine Militärübung mit den Vereinigten Staaten durchzuführen stehe im „Widerspruch zu dem Ziel der Entspannung und Entmilitarisierung“ und könne nur als Provokation gewertet werden, heißt es in einer Erklärung der FMLN vom 23. April. Rubén Zamora, Vizepräsident der Nationalversammlung und Vorsitzender des Oppositionsbündnisses „Demokratische Übereinstimmung“ (CD), forderte die Regierung auf, das geplante Militärmanöver angesichts der angestrebten „Entmilitarisierung“ des Landes noch einmal zu überdenken. Der Abgeordnete der Regierungspartei ARENA, Raul Peña, sagte, derartige Militärübungen seien nichts Neues und üblich zwischen einer Weltmacht und einem befreundeten Land. Die konservative „Partei der Nationalen Versöhnung“ (PCN) und die „Authentische Bewegung der Christ*innen“ (MAC) unterstützen die Manöverpläne der Regierung. Guillermo Guevara von der MAC sagte, in den 12 Kriegsjahren seien keine Manöver dieser Art durchgeführt worden. Nun seien sie zur Grenzsicherung jedoch sinnvoll. „Man sollte keine Fantasmen sehen, wo es keine gibt“, fügte er hinzu.

 

 Regierung gaukelt Polzeireform vor

(San Salvador, 26,April 1992).- Auf heftige Kritik der Opposition ist die Entscheidung des salvadorianischen Parlaments gestoßen, der Finanzpolizei (PH) und der Nationalgarde (GN) zwar die Verantwortung für die öffentliche Sicherheit zu nehmen, deren Strukturen aber unverändert zu belassen. Dem Antrag stimmten die Regierungspartei ARENA sowie die „Partei der Nationalen Versöhnung“ (PCN) und die „Authentische Bewegung der Christ*innen “ (MAC) zu. Rubén Zamora, Chef des Oppositionsbündnisses „Demokratische Übereinstimmung“ (CDF), hat die Reformen als eine „klare Provokation der FMLN, die Friedensabkommen nicht zu erfüllen,“ bezeichnet. Korrekt wäre gewesen, sowohl die Finanzpolizei wie die Nationalgarde in Übereinstimmung mit den Friedensabkommen abzuschaffen, fügte er hinzu. Fidel Chávez Mena von der „Christdemokratischen Partei“ (PDC) bezeichnete die Entscheidung als „ungeeignet und gefährlich“, weil sie beide Eineiten „lebendig lassen“, obwohl die FMLN und die Regierung deren Auflösung beschlossen hätten. „Es ist eine absichtliche Entscheidung, die die Friedensabkommen in jeder Hinsicht verletzt,“ sagte Chavez Mena. Ein Kommunique der FMLN bezeichnete die Maßnahme am 25. April als eine schwere Verletzung der Friedensabkommen. Die Rebellen behielten sich das Recht vor, „alle notwendigen Maßnahmen“ zu ergreifen, um den Verletzungen der Abkommen ein Ende zu bereiten.

 

VENEZUELA

 Die Streitkräfte fürchten um die Macht

(Guatemala, April 1992, NG-POONAL).- Zweifellos war die schwierige innenpolitische Situation in Venezuela eine der Ursachen für den gescheiterten Militärputsch im vergangenen Februar, aber es ist nicht die einzige. Die neue globale Kräftekonstellation und ihre Rückwirkungen auf den amerikanischen Kontinent provozieren in den Armeen dieser Region, die traditionell dem Militärapparat der Vereinigten Staaten verbunden sind, ein gewisses Unwohlsein wegen der neuen Rolle, die die vorherrschende Macht ihnen künftig zuweisen will. Nach dem unverhofften Öl-Boom in den siebziger Jahren folgte ein Jahrzehnt bitterer Ernüchterung. In Venezuela leben heute 80 Prozent der Bevölkerung unterhalb der Armutsgrenze, die Einkommen sind extrem ungleichgewichtig verteilt. Die Elite – die durch den Aufstieg Venezuelas zur Ölmacht immense Reichtümer anhäufte – ist eine Mischung der alten Oligarchien und den traditionellen politischen Klassen aller Parteien, die den Staatsapparat ungehemmt benutzten, um sich persönlich zu bereichern.

Wo sind die Petro-Dollars geblieben?

Vom Segen der reichlich sprudelnden Ölquellen ist heute nur mehr wenig zu spüren, die politische und die wirtschaftliche Elite haben Venezuela in den Ruin getrieben. Allein von 1973 bis 1982 flossen mehr als 200 Milliarden Dollar durch den Ölexport in die Staatskasse. Doch dieser großartige Reichtum blieb auf eine kleine Minderheit der 20 Millionen Bewohner*innen beschränkt, maßlose Verschwendung sorgten dafür, daß heute, in Zeiten wirtschaftlicher Rezession, keine Reserven mehr vorhanden sind. Venezuela, das sich in der Korrumpierung des politischen Systems und der Verelendung breiter Bevölkerungsschichten kaum von anderen lateinamerikanischen Ländern unterscheidet, hat durch die großen Ölreserven für die Vereinigten Staaten eine strategische Bedeutung erlangt, die mit der Kuwaits oder Saudi-Arabiens im Nahen Osten vergleichbar ist. Die Analogie reicht bis hin zu verblüffend konkreten operativen Überlegungen. Nach dem Putschversuch in Venezuela im Februar dieses Jahres forderte die New York Times eine „panamerikanische“ Interventionsstreitkraft, die den billigen und reichhaltigen Öl-Fluß für die westlichen Mächte sichernsollte.

Streitkräfte fürchten Machtverlust

Hinter dem protzigen Säbelklappern und den rechtspopulistischen Gesten der venezolannischen Streitkräfte verbergen sich nur unzureichend die wachsenden Ängste vor einem Machtverlust angesichts der Bestrebungen der USA, der ökonomischen Globalisierung eine politisch-militärische Globalisierung folgen zu lassen. Das heißt konkret: Die neoliberale Doktrin des imperialen nordamerikanischen „Establishment“, die auf den Abbau von Handelsbarrieren zwecks wirtschaftlicher Expansion zielt, soll um eine politisch-militärische Variante ergänzt werden, die der Doktrin der „begrenzten Souveränität“, die Leonid Breschnew gegenüber den osteuropäischen Nachbarn der Sowjetunion definierte, verblüffend ähnelt. Zu den klassischen liberalen Postulaten – öffne DEINE Märkte und liberalisiere DEINEN Handel – wird hinzugefügt: begrenze DEINE Souveränität und reduziere (oder beseitige, wenn möglich) DEIN Heer, wie es ja schon öffentlich hohe Hierarchen des Pentagon verlangt haben. Natürlich werden die Regeln der neuen angestrebten Ordnung nicht auf die Erfinder angewandt; IHRE Grenzen und Märkte, IHRE Souveränität und IHR Handel werden von der neuenn Globalisierungsstrategie verständlicherweise nicht beeinträchtigt. IHR Heer wächst und rüstet sich mit den modernsten Mitteln.

Die Auflösung der Sowjetunion und der damit verbundene Aufstieg der USA zur alleinigen Weltmacht hat die Streitkräfte der wichtigsten lateinamerikanischen Länder in erhebliche Verwirrung gestürzt. Und es ist durchaus naheliegend, daß der desolate Zustand der Streitkräfte, über den etwa Generäle in Brasilien, Chile, Argentinien und Venezuela klagen, mit dem Verschwinden des kommunistischen Feindbildes zusammenhängt. In Brasilien haben die Streitkräfte fast mit Panik auf den wachsenden Druck reagiert, das riesige Amazonasgebiet zu internationalisieren, um der wachsenden Zerstörung ihrer natürlichen Ressourcen entgegenzuwirken. Der Druck, der aus so widersprüchlichen Richtungen kommt (von Umweltschützer*innen mit guten Absichten, die eine ökologisch vertretbare Entwicklung wünschen, bis hin zu Kräften, die bereits als Ökoimperialist*innen bezeichnet werden), wird vor allem von den Vereinigten Staaten ausgeübt. Selbst der brasilianische Präsident Color de Mello – bislang kaum als USA-feindlich aufgefallen – beschwerte sich in einer Regierungserklärung lautstark über die Interventionen der Hegemonialmacht, die die Entwicklung und die Ausdehnung Brasiliens zu begrenzen versuche. In den argentinischen Streitkräfte hat sich ein nationalistischer, gegen die USA abgrenzender Tonfall bereits seit längerem eingebürgert. Dort wirken die Folgen der Militärdiktatur und vor allem die US-Haltung im Krieg um die Malvinen nach.

Drogenbekämpfung: Vorwand für Interventionen

Zu einem weiteren Reibungspunkt zwischen lateinamerikanischen Staaten und den USA hat sich die Drogenbekämpfung entwickelt. Der Krieg gegen die Produktion und den Handel mit Drogen, den die Vereinigten Staaten als Vorwand für direkte Eingriffe in den Anbauländern nehmen, wird zunehmend als eine Art Drogenimperialismus gesehen. Die Streitkräfte der Andenländer sehen irritiert, wie sie US-amerikanische Einheiten an die Spitze der Drogenbekämpfung stellen und sich über die Sicherheitskräfte der jeweiligen Länder hinwegsetzen. Wie zu beobachten ist, leben die Armeen und die dominierenden Klassen einiger amerikanischer Nationen etwas am eigenen Leibe, das sie vielleicht schon vorher kannten, aber das sie jetzt stört: daß einige nationale Sicherheiten wichtiger sind als andere. Es wird neu erlernt, daß das „establishment“, das von Washington aus regiert, keine Freunde hat, sondern Interessen, so wie es auch keine Partner mit gleichen Konditionen haben will. Die Vereinigten Staaten definieren ihre nationalen Sicherheitsprioritäten nach dem Zerfall des Sozialismus in Osteuropa neu. An die Stelle des einst globalen Feindes Sowjetunion treten nun mögliche regionale Störenfriede, die vermeintliche US-Interessen gefährden. Das Sicherheitsbedürfnis der USA orientiert sich nun daran, nationale Bedrohungen in der „Dritten Welt“ zu unterdrücken oder Regime, die ein militärisches und wirtschaftliches Übergewicht in einer Region anstreben, zu schwächen oder zu zerstören. Eine andere der neuen Prioritäten ist, Teile ihres Sicherheitsapparates umzuwandeln, um sie im harten ökonomischen Wettkampf ihren Alliierten, z.B. Japan gegenüber zu verwenden; das bleibt paradox, aber historisch gesehen ist es verständlich: es ist die Fortsetzung des Zweiten Weltkrieges mit anderen Mitteln.

Verblassende Feindbilder?

Die alte antikommunistische Kameradschaft der Streitkräfte der Vereinigten Staaten mit ihren amerikanischen Gegenspielern hat jeden Tag weniger Nahrung und erscheint künstlicher. Es stimmt, daß durch das Netz der Beziehungen und Beihilfen, die sich zwischen ihnen als Resultat der kubanischen Revolution und ihrer Folgen aufbaute, diese Art der Kameradschaft noch präsent ist. Trotzdem haben sich die Bedingungen grundlegend verändert. Die überwiegende Mehrheit der Regime des amerikanischen Kontinents sehen in Kuba längst keine Bedrohung ihrer nationalen Sicherheit mehr. Einige von ihnen honorierten sogar die kubanische Haltung gegen die die traditionelle Übermacht – z.B. durch politische und ökonomische Manöver. Die Globalisierung ihrer politischen und wirtschaftlichen Hegemonie, die die Vereinigten Staaten auf dem amerikanischen Kontinent verfolgen, impliziert, Grenzen und Souveränitäten (natürlich nicht ihre eigenen) aufzulösen, sowie nationale Märkte an ihre eigenen Bedürfnisse anzupassen. Je sicherer sich das imperiale „establishment“ ist, daß sich – zumindest eine beträchtliche Zeit hindurch – keine einzige globale Bedrohung gegen ihre Hegemonie erheben wird, umso mehr bedenkt sie, daß ihre Hauptfeinde die sind, die verhindern, daß sie uneingeschränkten Zugang zu den Märkten und zu den menschlichen und materiellen Ressourcen erlangt. Und es spielt dann auch keine Rolle, ober diejenigen, die sich widersetzen, dem politischen Zentrum, der Linken oder der Rechten angehören, oder ob es die Armeen sind, die ihre Verbündeten im Kampf gegen die „kommunistische Bedrohung“ waren. Aus der Sicht der lateinamerikanischen Länder, vor allem der zentralamerikanischen, ist die Entmilitarisierung gleichsam eine Voraussetzung für die Demokratisierung. Denn nur wenn die Streitkräfte ihrer historischen Rolle als Macht, die in erster Linie aufkeimenden Protest gegen die mangelnde Befriedigung sozialer Bedürfnisse niederhalten soll, entledigt werden, ist eine friedliche Entwicklung möglich. Es entwickeln sich progressive Bewegungen neuen Zuschnitts, um eine echte Verteidigung der Souveränität, der Interessen und der nationalen Rechte möglich zu machen.

 

ARGENTINIEN

 Brady-Plan: Neue Bürde oder Ausweg aus der Verschuldung

(Buenos Aires, 20.4.92, Argenfax).- Argentinien ist das fünfte Land, dem der sogenannte Brady-Plan einen Ausweg aus der Verschuldung bieten soll. Die Anwendung des Brady-Plans fällt in eine Phase, in der Argentinien wie auch die Nachbarländer großen Unsicherheiten entgegensehen. Die demokratischen Insitutionen sind geschwächt, in etlichen Ländern wächst die Bereitschaft konservativer Eliten und von Teilen der Streitkräfte, die Macht an sich zu reißen. Der Putschversuch in Venezuela, die „konstitutionelle“ Diktatur Fujimoris in Peru, die Androhung eines Staatstreichs in Bolivien, die rätselhaften Reisen des chilenischen Generals Augusto Pinochet durch Lateinamerika – ohne Zweifel sind die Demokratien in Lateinamerika keineswegs gefestigt, im Gegenteil, mit dem Anwachsen der wirtschaftlichen Probleme schwindet deren Prestige gegenüber gegenüber den Streitkräften, die sich allenthalben wieder als Garanten für Stabilität und Ordnung empfehlen. Mit dem Beginn der Verschuldungskrise begann ebenfalls die Phase der Umschuldungsprogramme. Der Brady-Plan – wie zuvor der Baker- Plan und andere Versuche, den Geldstrom von Süden nach Norden aufrechtzuerhalten – kam nicht auf Initiative der Schuldnerländer zustande, er ist vielmehr eine Reaktion auf die Bedürfnisse der Gläubiger, die den profitablen Geldtransfer stabilisieren möchten. Der Brady-Plan, wie sämtliche Umschuldungsinitiativen, ist vor dem Hintergrund des zentralen Dilemmas in den lateinamerikanischen Ländern zu sehen: Wie ist der Übergang zur Demokratie zu bewältigen – die eine höhere Berücksichtigung der Bedürfnisse der Bevölkerung garantieren soll -, wenn für die Mehrheit der Menschen es immer schwieriger wird, den Lebensunterhalt zu sichern?

Brady-Plan sichert Kapitalfluß – von Süden nach Norden

Die offizielle Propaganda in Mexiko, Venezuela, Costa Rica und Uruguay – die bislang in den Genuß des Brady-Planes kamen -, wie jetzt auch in Argentinien, heben das nach dem US-Finanzninster benannte Programm als ein unentbehrliches Werkzeug für die Entwicklung der Länder dar. In Wirklichkeit jedoch – und so erklärt sich, daß die Nachfrage der Gläubiger die Haupttriebkraft des Planes ist – werden den Ländern ein Teil der Schulden erlassen, gleichzeitig verpflichten sie sich langfristig (bis in die ersten Jahrzehnte des 21. Jahrhunderts hineien), die Schulden wie die fälligen Zinsen zu zahlen – der Kapitalfluß muß gesichert werden. Argentinien wurde nach mehrmonatigen Verhandlungen Anfang April in den Brady-Plan aufgenommen. Auf argentinischer Seite machte sich insbesondere Wirtschaftsministers Domingo Cavallo für die Aufnahme stark. Kernpunkt des Brady-Plans ist, daß der Schuldner glaubwürdig darlegt, wie er die aufgenommenen Kredite – und die Zinsen – langfristig zurückzuzahlen gedenkt – und im Gegenzug einen Teil der Verpflichtungen erlassen bekommt. Im Gegensatz zu anderen Ländern (die verschiedene Alternativen als Nettoverringerung des Schuldenkapitals präsentierten: geringere Gebühren, neue Kredite, Kapitalisierungsvorgänge durch den Wiederkauf alter Schuldenzahlungen in Händen der Gläubiger etc.) besitzt Argentinien gegenüber dem Gläubigerkonsortium, dem 320 Banken angehören und das von der US-amerikanischen Citybank angeführt wird, zwei Optionen, die jeweils auf 30 Jahre angelegt sind.

Zwei Entschuldungsvorschläge

Die erste Option beinhaltet einen Schuldenerlaß um 35 Prozent. Die restlichen Schulden werden entsprechend dem aktuellen LIBOR (4,5 Prozent) zuzüglich einer Gebühr von 0,81 Prozent verzinst und über 30 Jahre zurückgezahlt. (Argentinien hat vorgeschlagen, die Schulden um 40 Prozent zu erlassen und mit den verbleibenden 60 Prozent gleich zu verfahren). Die zweite Option impliziert keinen Schuldenerlaß, sondern setzt lediglich einen progressiven Zinssatz fest, der anfangs bei 4 Prozent liegen soll, bis zum siebten Zahlungsjahr auf 6 Prozent ansteigt und auf diesem Niveau stagniert. (Argentinien hatte ursprünglich einen viel geringeren Preis vorgeschlagen: eine feste Gebühr für die 30 Jahre in Höhe der Hälfte des LIBOR – das sind 2,25 Prozent plus 0,81 Prozent.) Die beiden Varianten gelten freilich lediglich für die Schulden bei privaten Banken, die sich derzeit auf 23 Milliarden Dollar addieren – zuzüglich 8 Milliarden Dollar längst fälliger Zinszahlungen. Bei internationalen Finanzorganisationen und bei anderen Staaten steht Argentinien ebenfalls mit rund 30 Milliarden Dollar in der Kreide. Den Banken steht es nun zu, sich für eine Option zu entscheiden: Entweder Schuldenerlaß oder niedrige Zinsen. Im Falle Mexikos akzeptierten 41 Prozent der Gläubigerbanken einen der argentinischen Vereinbarung identischen Schuldenerlaß. 47 Prozent wollten die Schulden nicht reduzieren; sie verlangten eine feste Gebühr von 6,25 Prozent jährlich über drei Jahrzehnte hindurch. In Fällen wie dem mexikanischen gab es noch eine andere Möglichkeit: Die Banken reduzierten weder die Schulden noch die Zinssätze, sie bewilligten jedoch neue Kredite zur Refinanzierung. Diese Option gilt für Argentinien nicht. Sowohl die privaten Gläubiger als auch der Internationale Währungsfonds, der einen flankierenden Kredit gewährte, verlangen als Garanten der Zahlungsfähigkeit eine weitreichende Kontrolle über die argentinische Wirtschaft: argentinische Versprechungen, den defizitären Haushalt auszugleichen, die Inflation zu bekämpfen, Subventionen abzubauen, Staatsbetriebe zu privatisieren etc. waren Voraussetzungen des Schuldenabkommens. Argentinien kann durch den Brady-Plan eine nominale Verminderung der Schulden um 7 bis 10 Milliarden Dollar erreichen. Effektiv wird Argentinien mehr als bisher bezahlen und bis zum Jahr 2022 fortfahren. Doch durchaus unklar ist, ob die Gesellschaften die Bürde, die ihnen der Brady-Plan auferlegt, geduldig ertragen werden.

 

BRASILIEN

 Gewalt gegen Indígenas

(Ekuador, April 1992, alai-POONAL).- In Brasilien sind im vergangenen Jahr 27 Indios/as umgebracht worden (14 mehr als im vorhergehenden Jahr). Dies Zahl veröffentlichte das Indigenen- Institut CIMI, eine der Nationalen Bischofskonferenz zugehörige Organisation. Etliche Verbrechen seien mit extremer Grausamkeit begangen worden. Als Hauptgrund für die Gewalt gegen Indigenas nannte das Institut Landkonflikte. An 21 Morden seien direkt Gutsbesitzer oder Goldsucher beteiligt gewesen, die von indigenen Völkern beanspruchtes Land für sich reklamierten. Laut CIMI müßten die traditionell von indigenen Völkern besetzten Gebiete besser geschützt werden, um Landkonflikte zu vermeiden – so wie die brasilianische Verfassung es verlange. CIMI forderte die Regierung auf, „alle Invasoren“ zum Rückzug aus Gebieten zu zwingen, die von indigenen Völkern bewohnt sind. Als weiteren Grund für die Verbrechen gegen Indigenas nannte das CIMI die Straflosigkeit. Von den 27 Morden seien lediglich in 11 Fällen Ermittlungen eingeleitet worden, in nur zwei Faäälen seien Verdächtige festgenommen worden.

Sklavenähnliche Ausbeutung

Ein weiteres Zeichen für erlittene Gewalt und Demütigungen seien die Selbstmorde. Zwar sei die Anzahl der Selbstmorde von 31 auf 21 gesunken. Das Problem sei jedoch sehr besorgniserregend. Insbesondere Angehörige der Guarani empfänden ihre Lage als derart deprimierend, daß viele geäußert hätten, es sei nicht mehr wichtig weiterzuleben. Die sozio-ökonomische Situation dieses Volkes sei vor allem wegen des Landmangels, durch den eine Entwicklung ihrer traditionellen Kultur verhindert werde, sehr schwierig. Solange das Landproblem nicht gelöst sei, werde die deprimierende Lituation anhalten. Die Guarani litten unter der Ausbeutung der Arbeitskraft unter nahezu sklavischen Bedingungen auf den Zuckerplantagen und in der Alkoholindustrie. Drogenabhängigkeit habe sich zu einem verbreiteten Phänomen entwickelt. Die Guaranis seien zudem ständigen Missionierungsversuchen verschiedener religiöser Sekten ausgesetzt.

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