Nicht mit und nicht ohne Cunha – Der skurrile Schlingerkurs der Regierung Rousseff

von Andreas Behn, Rio de Janeiro

(Berlin, 25. November 2015, npl).- Die politische Krise in Brasilien nimmt immer skurrilere Züge an. Im Poker um die Macht setzen Regierung wie Opposition auf schamlose Allianzen. Derweil geht der Rechtsruck im Kongress weiter und im Zuge der Wirtschaftskrise werden soziale Errungenschaften wieder abgebaut. Im Mittelpunkt des Tauziehens steht der mächtige Parlamentspräsident Eduardo Cunha. Er gehört zum wichtigsten Koalitionspartner der Regierung, der Zentrumspartei PMDB (Partido do Movimento Democrático Brasileiro), hat sich aber schon vor Monaten von Präsidentin Dilma Rousseff losgesagt und macht offensive Oppositionspolitik.

Eduardo Cunha macht Regierung das Leben schwer

Der evangelikale Hardliner wurde so zum Lieblingskind der konservativen Opposition, die alles daran setzt, die Mitte-Links-Regierung der Arbeiterpartei PT (Partido dos Trabalhadores) zu stürzen. Dass Cunha einer der 50 ranghohen Koalitionspolitiker ist, gegen die im Rahmen des Korruptionsskandals um den halbstaatlichen Ölkonzern Petrobras und ein Kartell von Baufirmen ermitteln wird, stört die Konservativen dabei nicht. Denn bei ihrem Versuch, die Regierung Rousseff wegen Korruptionsverwicklungen zu Fall zu bringen, ist Cunha und seine Hausmacht im Parlament unverzichtbar.

Zudem macht Cunha der Regierung das Leben schwer, indem er Gesetzesvorhaben vorantreibt, die nach Meinung der PT auf das Prinzip „je schlechter, desto besser“ setzen – also populistische Maßnahmen, die die angespannte Finanzlage des Landes weiter verschärfen. Nur mit äußerst knapper Mehrheit gelang es Rousseff vergangene Woche, mehrere solcher Initiativen per Veto abzuschmettern, die den Staat beispielsweise mit milliardenschweren Gehaltserhöhungen von Justizangestellten an den Rand des Bankrotts gebracht hätten.

Geklüngel wegen Korruptionsskandal

Cunhas Allmacht – einige sahen in ihm schon den nächsten Präsidenten – bröckelt jedoch rapide, seitdem die Schweizer Justiz im Oktober nachwies, dass er illegale Konten mit mehreren Millionen US-Dollar in der Alpenrepublik unterhielt. Obwohl Cunha alles leugnet, muss er sich nun vor der Ethikkommission des Parlaments verantworten und bangt um sein Amt.

Vergangene Woche gelang es ihm nur mit schmutzigen Tricks, die Arbeit der Kommission zu verzögern. Doch plötzlich ist es die Regierung, die ihm die Stange hält: Da Cunha immer noch die Macht besitzt, ein Amtsenthebungsverfahren gegen Rousseff einzuleiten, stehen einflussreiche Teile der PT hinter ihm. Offenbar glaubt Cunha, dass seine Lage so ernst geworden ist, dass ihn jetzt nur noch die Regierung aus dem Schlamassel holen kann.

Umsetzung von Wahlversprechen bleibt aus

Das Schmierentheater rund um Cunha ist nur der Höhepunkt eines Politikschauspiels, das die Brasilianer*innen seit der Wiederwahl von Rousseff im Oktober 2014 ertragen müssen. Seitdem setzt die Opposition auf den sogenannten dritten Wahlgang, indem sie die PT-Regierung sowohl für den Korruptionsskandal wie für die heftige Wirtschaftskrise verantwortlich macht. Statt eigene Inhalte zu vertreten, boykottiert sie die Regierungsarbeit und trägt damit zur ökonomischen Stagnation bei. Mit mehreren Gerichtsverfahren und unterstützt von rechten Demonstrant*innen versucht sie, Rousseff aus dem Amt zu drängen.

Die PT kritisiert diese von allen Massenmedien getragene Kampagne als „Putschversuch“. Doch statt eine konstruktive, soziale Politik im Sinne ihrer Wahlkampfversprechen zu machen, setzt sie alles daran, mit faulen Kompromissen und fragwürdigen Personalentscheidungen ihre zerfledderte Basis im Kongress wieder zu kitten. Und trotz zwölf Jahren erfolgreicher Wirtschafts- und Sozialpolitik setzt die PT-Spitze jetzt plötzlich auf neoliberale Konzepte. Sozialprogramme werden gekürzt und die Rechte von Arbeitnehmer*innen eingeschränkt. Zu Recht moniert die Opposition, dass Rousseff ihre Wirtschaftspolitik von den Konservativen abgeguckt hat.

Konservativer Rollback

Die Politlähmung der Exekutive nutzt der konservative Kongress derweil, den angekündigten Rechtsruck umzusetzen. Das Paket ist ein Rollback auf ganzer Linie: Verschärfung des Abtreibungsverbots, weniger Auflagen für Waffenbesitz, mehr Rechte für religiöse Gruppierungen, Offensive gegen Lesben und Schwule, Herabsetzung des Strafmündigkeitsalters und Entrechtung indigener Gruppen zu Gunsten von Großgrundbesitzer*innen.

All diese Gesetzesinitiativen haben erste parlamentarische Hürden genommen und immerhin einen gewissen Widerstand der immer noch recht konsternierten sozialen Bewegungen hervorgerufen. Für den Rechtsaußen Cunha offenbar auch ein Politkalkül: Solange die Abgeordneten mit hitzigen Debatten beschäftigt sind, werden sie ihn nicht aus dem Amt feuern können.

CC BY-SA 4.0 Nicht mit und nicht ohne Cunha – Der skurrile Schlingerkurs der Regierung Rousseff von Nachrichtenpool Lateinamerika ist lizenziert unter Creative Commons Namensnennung-Weitergabe unter gleichen Bedingungen 4.0 international.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert