Neue Enthüllungen in Sachen Korruption treiben Brasiliens Präsidenten in die Enge

Von Andreas Behn

(Rio de Janeiro, 19. Mai 2017, taz).- Neue Enthüllungen im Korruptionsskandal setzen Brasiliens Präsidenten Michel Temer mächtig unter Druck. Laut einem Zeitungsbericht ist er an der Zahlung von Schweigegeld an den inhaftierten ehemaligen Parlamentspräsidenten Eduardo Cunha beteiligt. In einem geheimen Audiomitschnitt, den ein Kronzeuge Mitte Mai dem obersten Gericht übergab, wird Temer über regelmäßige Zahlungen an Cunha informiert und sagt dazu: „Sorge dafür, dass dies so bleibt.“

Der Vorsitzende seines wichtigsten Koalitionspartners PSDB, Aécio Neves, wurde dabei ertappt, wie er umgerechnet 580.000 Euro Schmiergeld von einem Manager des Fleischkonzerns JBS erbittet. Auch dies liegt dem Gericht als Tonbandaufnahme vor. Da die Polizei von den Taten teilweise im Voraus informiert war, konnte sie sogar die Geldübergabe filmen und den Eingang des Geldes auf dem Konto eines Parteifreundes nachverfolgen.

Temers Parteifreund Cunha, der mittlerweile wegen Korruptionsverbrechen zu einer langen Haftstrafe verurteilt wurde, war als Parlamentspräsident maßgeblich an der Einleitung des Amtsenthebungsverfahrens gegen die ehemalige Präsidentin Dilma Rousseff beteiligt. Die neuen Enthüllungen schwächen die Regierung bei ihrem Versuch, ein umstrittenes Sparpaket auf den Weg zu bringen.

Im Land wütet ein Machtkampf um Sparpolitik und Korruptionsvorwürfe

Gewerkschaften und soziale Bewegungen laufen Sturm gegen die Reformen von Arbeitsrecht und Rentensystem, die Ende Mai verabschiedet werden sollten. Nach einem Generalstreik Ende April riefen die Gewerkschaften zur „Besetzung von Brasilia“ auf. „Die geplanten Einschnitte sind sehr unpopulär. Deswegen beteiligten sich Millionen am Streik und Hunderttausende an den Demonstrationen.“, erklärt Politikwissenschaftler Luis Felipe Miguel.

Temer setzt bei der Durchsetzung der Sparpolitik auf den konservativ dominierten Kongress, in dem die Regierungskoalition eine breite Mehrheit hat. „Anders als die Kritiker hat die Regierung das Werben um die öffentliche Meinung aufgegeben. Statt dessen werden die Parlamentarier mit politischen Gefälligkeiten und Finanzgeschenken umgarnt, um für die Reformen zu stimmen“, sagt Miguel.

Um den Agrarier*innen entgegenzukommen, stellte Temer Umweltauflagen und Indigenenrechte in Frage. Per Dekret lockerte er die Waffengesetze, um die Unterstützung der Bleilobby zu sichern. Mit Steuergeschenken macht er sich bei Unternehmer*innen, die über 40 Prozent der Kongresssitze innehaben, beliebt. „Jeder Abgeordnete macht nun folgende Rechnung auf: Was ist mir wichtiger, der Groll meiner Wähler bei einer Zustimmung zu den Reformen oder die Gefälligkeiten der Regierung?“

Bei Wahlen ist die konservative Agenda der Temer-Regierung mit ihren sozialen Einschnitten stets durchgefallen. Doch Temer kam ohne Urnengang an die Macht und kündigte bereits an, kein zweites Mandat anzustreben. Die Rechte wittere nun die Chance, Maßnahmen zu verabschieden, die in Brasilien spätestens seit 20 Jahren keine Mehrheit haben, analysiert Miguel. „Es ist nur ein scheinbarer Widerspruch: Gerade weil die Reformen so unpopulär sind, werden sie jetzt so schnell wie möglich durchgezogen.“

Wahlkampf hat begonnen

Der Machtkampf in Brasilien dreht sich nicht nur um Sparpolitik. Die Wahl Ende 2018 ist schon im Visier. Die Rechte hofft auf eine Fortsetzung des politischen Rollback und der neoliberalen Agenda. Die Linke, die mit der Arbeiterpartei PT von 2002 bis 2016 regierte, will den abrupten Machtwechsel, den die meisten Regierungskritiker*innen als parlamentarischen Staatsstreich geißeln, wieder rückgängig machen.

Trotz der heftigen Stimmungsmache gegen die PT, mit der Ex-Präsidentin Dilma Rousseff und ihre Partei vergangenes Jahr als korrupt gebrandmarkt und von der Macht verdrängt wurde, ist es ihr Vorgänger Lula da Silva, der in allen Meinungsumfragen deutlich in Führung liegt. „Lula ist immer noch eine sehr populäre Führungsfigur“, sagt Miguel. „Er wird wegen seiner erfolgreichen Armutsbekämpfung geachtet. Aufgrund dieser positiven Erfahrung werden Viele ihm erneut ihre Stimme geben“, analysiert der Politikprofessor. Allerdings bedeuten diese Umfragewerte keinesfalls, dass es eine linke Basis in dieser Größenordnung gebe. „Es geht um Lula als Person, die sich nicht in eine Mobilisierung auf den Straßen übersetzen lässt.“

Noch ist jedoch völlig unklar, ob Lula kandidieren darf. Im riesigen Korruptionsskandal um den Ölkonzern Petrobras steht auch der ehemalige Gewerkschafter vor Gericht und würde bei einer Verurteilung in zweiter Instanz das passive Wahlrecht verlieren. „Trotz fehlender Beweise setzen die Korruptionsermittler alles daran, Lula und die PT zu schwächen“, sagt Miguel.

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