Kein stilles Begräbnis – Costa Ricaner*innen wollen ihre Sozialkasse retten

von Markus Plate

(San José, 11. Februar 2013, voces nuestras).- Es ist einer der höchsten Türme der Hauptstadt San José. Mit elf Stockwerken thront er stolz über dem Zentrum der Stadt und dient seinen Bewohner*innen, den Josefinos oder Josefinas, als Orientierungspunkt. Das imposante Gebäude beherbergt die Costa Ricanische Sozialversicherung CCSS (Caja Costarricense de Seguro Social).

 

Kriselnde „Caja“

Die „Caja“, wie die „Kasse“ in Costa Rica genannt wird, ist eine Errungenschaft, die in Zentralamerika ihresgleichen sucht: Ein System, das auf Solidarität beruht und durch den Staat, von Arbeitnehmer*innen und Arbeitgeber*innen gleichermaßen finanziert wird. Die Caja zahlt monatlich rund 190.000 Rentner*innen die Pension, ihre Gesundheitsposten und Kliniken sind Anlaufpunkt für alle, die sich keine private Gesundheitsversicherung leisten können oder wollen.

Doch seit geraumer Zeit steckt die Caja in der Krise. Die Qualität der medizinischen Leistungen sinkt bedrohlich, die Patient*innen klagen über endlose Warteschlangen. Mittlerweile ist die Caja mit rund zwei Milliarden US-Dollar verschuldet, rund die Hälfte des jährlichen Budgets und ein horrend hoher Betrag in dem vier Millionen Einwohner*innen zählenden Land. So schuldet die Caja den eigenen Angestellten Löhne und Sozialleistungen, über Monate herrschte im vergangenen Jahr Medikamentenknappheit, medizinisches Gerät kann oftmals nicht gewartet oder repariert werden. Rund fünfzig der Ebais genannten Gesundheitsposten stehen ohne Finanzierung da.

Säumige Zahler*innen und interne Trickserei

Die chronische Geldknappheit der Caja hat Gründe. Zum einen kommen weder Privatunternehmen, noch staatliche Arbeitgeber*innen vollständig ihren Zahlungsverpflichtungen nach. Die Liste der Schuldner*innen ist lang und reicht von der US-Botschaft über Bananenexportunternehmen bis zu Kommunen und dem Staat selbst. Letzterer scheint seine Finanzen auf Kosten der Caja frisieren zu wollen, er schuldet der Caja mittlerweile eine 750 Mio. US-Dollar.

Zum anderen wird im Gesundheitssystem selbst Geld verschwendet. Im vergangenen Jahr kam ans Licht, dass die Einkaufsabteilung der Caja Medikamente bei „befreundeten“ Firmen zu stark überhöhten Preisen erworben hatte. Der Trick: Man verschläft den regulären Medikamenteneinkauf und muss dann Notkäufe tätigen, die saftige Aufschläge verursachen. Bleibt man pro Kauf unter einer Obergrenze, braucht der Einkauf nicht der Behördenleitung gemeldet werden. Der Schaden soll in zweistelliger Millionenhöhe liegen.

Ein Jahr Wartezeit auf Mammographie

Dabei ist öffentliche Gesundheit in Costa Rica nicht teurer als anderswo auf der Welt. Gemessen am Bruttoinlandsprodukt liegen die Aufwendungen bei gut fünf Prozent – zu wenig, um dem eigenen Auftrag gerecht zu werden. So sind die Krankenhäuser längst in die Jahre gekommen, die meisten wurden in den 1960ern und 1970er Jahren erbaut, für eine Bevölkerungszahl, die seinerzeit nicht einmal halb so groß wie heute gewesen ist.

Auf eine Mammographie darf die Patientin manchmal über ein Jahr warten, brauchen Patient*innen eine Computertomographie, haben sie gute Chancen, lange vor dem Termin zu versterben. Den akuten Investitionsbedarf schätzt die Caja auf rund eine Milliarde US-Dollar.

Immerhin verweist die aktuelle Präsidentin der Caja, Ileana Balmaceda, auf erste Erfolge ihrer erst kurzen Amtszeit. Die Medikamentenrechnung sei um mehrere Millionen US-Dollar gedrückt worden, Überstundenhonorare für das medizinische Personal um fast die Hälfte. Just dieses Personal aber geht deswegen auf die Barrikaden und wirft der Leitung ein Kaputtsparen der Caja vor. Dass die Schlangen nicht kürzer werden, wenn dem Personal Überstunden verwehrt werden, liegt auf der Hand.

Gesundheitssystem als hochprofitables Geschäft

Die Regierung sowie Manager*innen und einige Ärzt*innen der Caja, sehen sich aber noch ganz anderer Kritik ausgesetzt. Der linke Abgeordnete José Maria Villalta und der Generalsekretär der Mitarbeiter-Gewerkschaft der CCSS, Luis Chavaria, werfen ihnen vor, die Caja ganz bewusst gegen die Wand zu fahren, um mehr und mehr Gesundheitsleistungen und nach Möglichkeit die gesamte Rentenversicherung zu privatisieren.

Auf die Gesundheitseversorgung als hochprofitables Geschäft haben viele in Costa Rica ein Auge geworfen: Die wenigen Unternehmerfamilien und die transnationalen Unternehmen, die Costa Ricas Wirtschaft und Politik kontrollieren; Chefärzt*innen, die in Privatkliniken weit mehr Geld verdienen können, obwohl sie auch von der Caja extrem gut bezahlt werden; aber auch Politiker*innen und Manager*innen, die mit einer „Abwrackpräme“ rechnen dürfen.

Kein stilles Begräbnis

Doch ein stilles Begräbnis der Caja, zu dem nur die engsten Angehörigen und Erben geladen sind, wird es nicht werden. Für die Ticos, wie sich die Costa Ricaner*innen nennen, hat die CCSS immer noch hohen Symbolcharakter. Sie haben beschlossen, ihre öffentlich soziale Sicherheit zu verteidigen. Im November nahmen Tausende an einer Demonstration auf den Straßen von San José teil und sangen ihre Caja stünde “nicht zum Verkauf”.

Gefordert wird eine nachhaltige Sanierung der Caja. Säumige Zahler*innen müssten gezwungen werden, pünktlich ihre Beiträge zu entrichten. Intern müssten bessere Kontrollmechanismen den Betrugs- und Korruptionsfällen wirksamer zu Leibe rücken. Vor allem aber müsse die Caja entpolitisiert werden: Ihr Direktorium solle nicht länger Spielball der Parteipolitik sein. Die Demonstration wurde von der Polizei brutal unterdrückt. Es war das erste Mal, das die Regierung in der Hauptstadt Menschen niederprügeln und willkürlich verhaften ließ.

Öffentlicher Dienst droht mit Generalstreik

Diese wohl als Warnschuss an allzu mündige Bürger*innen gedachte Polizeiaktion könnte für die Regierung Laura Chinchilla allerdings nach hinten losgehen. In diesen Monaten soll bezüglich der Entpolitisierung der Caja ein Referendum abgehalten werden – die Unterschriftensammlung läuft. Und sollte es bis Mitte des Jahres keinen Maßnahmenkatalog geben, um die Caja wieder flott zu machen, wurde schon einmal für den gesamten öffentlichen Dienst mit einem Generalstreik gedroht. In einem Vorwahljahr ist dies für Chinchillas ehemals sozialdemokratische Partei der nationalen Befreiung keine allzu rosige Aussicht.

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