Interview mit Karin Nansen, Vorsitzende von Friends of the Earth International

(Montevideo, 9. Dezember 2016, la diaria).- Friends of the Earth ist ein internationaler Zusammenschluss von 76 Verbänden, die unter einem gemeinsamen Programm arbeiten. Die Säulen ihrer Arbeit seien Widerstand, Mobilisierung und Wandel, so Karin Nansen, die neue Vorsitzende von Friends of the Earth International. Die zu den bedeutendsten Umweltorganisationen der Welt zählende Initiative kämpfe vor allem für Ernährungssouveränität, Energie- und Klimagerechtigkeit, wirtschaftliche Gerechtigkeit und Widerstand gegen den Neoliberalismus, sowie für Wälder und biologische Vielfalt. Über diese und andere Themen sprachen wir mit Karin Nansen.

Welche Themen beschäftigen Friends of the Earth am meisten?

Zum einen der Widerstand gegen die neoliberale Politik, die Monokultur, die fortschreitende Vermarktung der Natur und den Klimawandel. Wir beschäftigen uns auch mit der Frage, wie wir unsere Energieversorgung und unsere Ernährungssituation verändern können. Hier geht es insbesondere um die Entwicklung neuer Modelle, mit deren Hilfe grundlegende Veränderungen stattfinden können. Vor allem unsere Ernährungssituation muss total umgestaltet werden. Sie muss demokratisch werden; es muss eine Situation geschaffen werden, in der auch kleinbäuerliche Familienbetriebe existieren können und ein Recht auf eigene landwirtschaftliche Produktion haben. Die Kontrolle über die Nahrungsmittelerzeugung muss wieder stärker auf uns Bürger*innen übergehen, sie darf nicht vollständig in den Händen großer Unternehmen liegen, sonst bestimmen diese nämlich, was, wie und wofür produziert wird. Die Tatsache, dass diese Entscheidungen mittlerweile von einigen wenigen getroffen werden, sowie die weltweit extrem unausgewogene Verteilung der erzeugten Nahrungsmittel haben uns in schwerwiegende Ernährungskrisen gestürzt. Wenn die Ernährungssouveränität gestärkt wird, wirkt sich das unweigerlich positiv auf den Klimawandel aus. Der Ausbau der biologischen Landwirtschaft führt zu geringeren Treibhausemissionen, denn durch das Prinzip der Versorgung mit regional erzeugten Gütern fallen lange Transportwege weg. Es werden keine giftigen Pflanzenschutzmittel verwendet. Alles das führt dazu, dass sich die Landgemeinden besser gegen den Klimawandel wappnen können.

Welche politischen Positionen stehen hinter diesen Statements?

Diese Diskussion wird überall in der Umweltschutzbewegung geführt. Wir von Friends of the Earth International sind sehr besorgt über den Zuspruch, den die politische Rechte derzeit überall auf der Welt erfährt. Wir verstehen uns als Gegner der Rechten, die für alles das eintreten, gegen das ich mich gerade ausgesprochen habe, und dabei sehr stark auf die Kriminalisierung oppositioneller Aktivitäten setzen. Wir sind sehr besorgt angesichts der Staatsstreiche in Brasilien, in Paraguay und in Honduras. Wir kämpfen für Umweltgerechtigkeit, wir sind nicht einfach bloß Umweltschützer*innen. Umweltgerechtigkeit beinhaltet soziale Gerechtigkeit. Das Prinzip der Gerechtigkeit ist für uns fundamental, genau wie die Volkssouveränität; das sind die Grundwerte unseres Bündnisses. Einer Regierung, die auf soziale Gerechtigkeit setzt, fühlen wir uns eher verbunden und hoffen dort stärker auf einen ergebnisreichen Dialog als bei einer Regierung, die damit nichts am Hut hat. In Uruguay gibt es noch kein starkes Bewusstsein dafür, dass soziale Gerechtigkeit nicht ohne Umweltgerechtigkeit auskommt; und unsere Aufgabe ist es, dieses Bewusstsein zu fördern. Wir stellen uns auf die Seite der Menschen, die von diesem erpresserischen System betroffen sind, aber wir wollen auch Modelle für einen möglichen Wandel einbringen und fordern dafür die Unterstützung der Politik. Wir wollen keinen marktorientierten Umweltschutz.

Was bedeutet für Sie „Entwicklung”?

Was uns beschäftigt, ist die Frage, ob Entwicklung eigentlich bedeutet, den Weg der Länder des Nordens zu gehen. Dass Wirtschaftswachstum nicht unbedingt gleich Entwicklung ist, lässt sich überall auf der Welt feststellen. Aber wenn von Entwicklungsmodellen die Rede ist, sind in der Regel Modelle gemeint, die auf ein Wirtschaftswachstum setzen – und die benötigen immer Finanzspritzen, Direktinvestitionen aus dem Ausland – das wird häufig mit Entwicklung gleichgesetzt und das stimmt so nicht. In dem Maße, wie die Rendite dieser Projekte in den Händen einiger weniger verbleibt, statt gerecht umverteilt zu werden, nehmen Probleme der Grundversorgung und Umweltverschmutzung zu. Wir sind nicht prinzipiell gegen Entwicklung, wir sind keine entwicklungsfeindliche Organisation, aber wir stehen dem, was heute so als Entwicklung verstanden wird, sehr kritisch gegenüber.

Haben Friends of the Earth Feinde?

Ich weiß nicht, ob wir Feinde haben, aber wir positionieren uns sehr klar gegen transnationale Konzerne und die Kontrolle, die sie in immer stärkerem Maße über unser Leben ausüben. Wir sind der Meinung, dass man diese Macht sichtbar machen muss; es ist nicht in Ordnung, dass Wirtschaftsunternehmen in einer Gesellschaft so viel Macht haben und in ganz Lateinamerika kontinuierlich die Menschenrechte brutal verletzen; auch in Asien und Afrika ist das an der Tagesordnung: Mordanschläge, an denen die Unternehmen direkt beteiligt sind, gewaltsame Vertreibungen, Kriminalisierung und Verfolgung. Wir finden, dass das aufhören muss, und dass die Unternehmen zur Rechenschaft gezogen werden müssen. Wir sind dabei, einen bindenden Vertrag über Menschenrechte und transnational agierende Konzerne auszuarbeiten, der auf Antrag Ecuadors und Südafrikas im UN-Menschenrechtsrat diskutiert wird. Was uns in dem Zusammenhang auch Sorgen macht sind die NGO’s, die Natur und Landschaften privatisieren und Menschen vertreiben und sich dabei auf den Umweltschutz beziehen; unter Berufung auf die Umweltschutzdebatte kann man auch ganz schön viel Schaden anrichten. Wir glauben nicht, dass die Umwelt vom Menschen abgetrennt ist, sondern dass die Menschen selbst die Gebiete verteidigen müssen.

Was halten Sie von der Idee, Umweltschutz unternehmerisch zu nutzen und den NGO’s zu ermöglichen, mit dem Schutz der Natur Gewinne zu erwirtschaften?

Wir von Friends of the Earth denken, dass wir uns mehr und mehr zu einer sozialen Bewegung formieren und nicht im Format einer NGO verharren sollten. Wir sind mit Initiativen auf der ganzen Welt vernetzt, vor allem weil man unsere Arbeit nicht allein auf der Grundlage finanzierter Projekte oder der internationalen Zusammenarbeit leisten kann, da dies eine starke Abhängigkeit bedeutet. Viele unserer größeren Organisationen finanzieren sich durch Mitgliedsbeiträge, zum Beispiel in Deutschland oder England. Nicht alle Organisationen sind von der internationalen Zusammenarbeit abhängig. Unsere Arbeit geht weit darüber hinaus. Wenn wir unsere Arbeitsagenda zusammenstellen, orientieren wir uns nicht an dem, was an Projekten möglich sein könnte, sondern zuerst stellen wir unsere Agenda auf und dann gucken wir, wie wir das finanzieren. Wir arbeiten immer mit öffentlichen Mitteln, wir bekommen keine Förderungen von Unternehmen.

Wie nähert man sich den Menschen an, die sich für Umweltschutz nicht interessieren oder nicht zuständig fühlen?

Das ist eine der Herausforderungen: Wie bringen wir unsere Analysen und Vorschläge unter mehr Leute, wie schaffen wir es, sie in unsere Kämpfe einzubinden? Warum möchten wir uns zu einer sozialen Bewegung entwickeln? Weil es hier nicht um eine Arbeit von Expert*innen und bestimmten Organisationen geht; es ist notwendig, dass diese Arbeit mehr und mehr als eine gesellschaftliche Aufgabe erkannt wird. Das stärkste Umweltbewusstsein geht heute von den Menschen aus, nicht von den Organisationen, die zu diesem Thema arbeiten. In den betroffenen Gebieten ist es sehr stark ausgeprägt und uns in vielem weit voraus. Wir die Organisationen, versuchen dafür zu sorgen, dass die Diskussionen in der Gesellschaft als Ganzes weitergeführt werden. Es sind nicht die sogenannten Umweltorganisationen, in denen Bewusstsein für die Umwelt entspringt. Dieses Bewusstsein entwickelt sich ganz stark bei den Menschen, die für ihre Gebiete kämpfen, und wir lernen von diesen Bewegungen. „Der Umweltschutz“, das sind nicht die Umweltschutz-NGO’s.

Wie gehen Sie mit der Verunglimpfung der Umweltschutzbewegung um?

Im Allgemeinen wirft man uns vor, gegen Entwicklung zu sein, wir reden jedoch von Umweltgerechtigkeit. Davon, wir man Ernährung und Energieversorgung auf gerechte und nachhaltige Weise organisieren kann. Wir verschließen uns nicht gegen die Einsicht, dass Arbeitsplätze geschaffen werden müssen. Das gehört auch zu unseren Zielen, deshalb stehen wir auch in einem engen Verhältnis mit der Gewerkschaft, der Bauernbewegung und der Frauenbewegung. Darin liegt unsere Stärke. Würden wir losgelöst von allem andern für den Umweltschutz eintreten, wären wir einfach eine Umweltorganisation mehr und sonst gar nichts. Was uns unterscheidet, ist unser Engagement für gesellschaftlichen Wandel und die Überzeugung, dass dieser vom Volk ausgehen muss.

Welche sind Ihrer Meinung nach die gravierendsten Umweltprobleme in diesem Land?

Wir als Friends of the Earth sind besonders besorgt über den Klimawandel, und das ist für Uruguay von Bedeutung. Wir befinden uns in einem Stadium alarmierender Veränderungen mit unumkehrbaren Folgen. In Uruguay ist man sich dessen vielleicht noch nicht so bewusst. Man denkt, das alles sei noch sehr weit weg, und dass die Folgen des Wandels uns nicht betreffen werden. Traurigerweise sind die ärmsten Bevölkerungsschichten diejenigen, die am meisten betroffen sind; dies ist ein weiteres Erscheinungsbild der Umwelt-Ungerechtigkeit: Diejenigen, die für das Problem verantwortlich sind, sind die, die am wenigsten darunter leiden. Der Verlust der biologischen Vielfalt ist ebenfalls ein schwerwiegendes Problem, das viel mit dem Ausbau des Agrobusiness zu tun hat und im Kontext des Klimawandels besonders schwer wiegt. Weniger biologische Vielfalt bedeutet auch weniger Möglichkeiten, die Folgen des Klimawandels abzufedern. Das Problem mit dem Wasser ist ebenfalls ein Riesenthema. Klimawandel, Landwirtschaft und biologische Vielfalt kann man nicht getrennt betrachten. Alle diese Prozesse bedingen einander gegenseitig, im Guten wie im Schlechten.

Der Staat investiert ins Agrobusiness. Glauben Sie dass eine staatliche Förderung der biologischen Landwirtschaft eine mögliche Lösung sein könnte?

Natürlich investiert der Staat, auf jeden Fall. Wir betrachten die öffentlichen und staatlichen Investitionen als fundamental. Was den Klimawandel betrifft, gehen wir davon aus, dass die Industriestaaten des Nordens die Verursacher sind und die größten Mengen an Treibhausgas ausstoßen. Deshalb müssen sie sich mit ihrer Klimaschuld auseinandersetzen und Finanzhilfen in den Süden schicken. Außerdem denken wir, dass die Rechte am geistigen Eigentum abgeschafft werden müssen, da sie den Süden daran hindern, sich mit den für die Veränderungen notwendigen Technologien auszustatten. Für uns ist sehr wichtig, dass diese Mittel aus öffentlicher Hand stammen und dass nicht die Unternehmen selbst kommen, um angeblich das Problem des Klimawandels zu lösen. Das ist ein schwieriger politischer Kampf, das wissen wir. Ein Problem ist auch, dass die Länder des Südens auf diese Logik einsteigen in dem Sinne, dass die öffentlich-privaten Verbände die Lösung aller Probleme der Menschheit und der Welt seien. Biologische Vielfalt bekommt ihren Preis: Ein Bergbauunternehmen zerstört hier die biologische Vielfalt und gleicht es damit aus, dass es dort den Umweltschutz unterstützt. Das ist einfach verrückt; die Gebiete sind ganz verschieden, und es geht nicht nur um biophysikalische Faktoren: Es geht auch um Kultur, um Geschichte, um den Lebensraum der Menschen, ihre sozialen Beziehungen und ihre Landwirtschaft. Wenn man das kaputtmacht, zerstört man noch viel mehr. Man versucht, eine Logik zu etablieren, nach der die Natur mit Geld aufgewogen werden kann, eine Logik in der alles zur Ware wird, einschließlich der Beziehung Gesellschaft-Natur. Das ist echt krass: Alles wird in Geldwert umgewandelt, dann gekauft und am Markt wieder verkauft, und dann ist es bis zur Privatisierung nur noch ein kleiner Schritt.

Was immer wieder gegen die biologische Landwirtschaft ins Feld geführt wird, ist das Argument, dass sie nicht im großen Stil betrieben werden und eine ähnliche Logistik wie das Agrobusiness aufbauen kann, was vermutlich der Aspekt ist, der am meisten für Letzteres spricht. Kann die biologische Landwirtschaft Vergleichbares leisten?

Im globalen Maßstab werden genügend Lebensmittel hergestellt, um die Welt zu ernähren, daran fehlt es nicht. Die biologische Landwirtschaft kann genügend Lebensmittel herstellen, aber es ist eine andere Produktionsweise, eine mit mehr Vielfalt, und beim Vertrieb wird auf eine größere räumliche Nähe zwischen Hersteller*in und Konsument*in geachtet. Wir wissen, dass die biologische Landwirtschaft die Welt ernähren könnte. Laut der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen FAO werden 70 Prozent der Nahrungsmittel weltweit durch kleinbäuerliche Familienbetriebe und Kleingärten erzeugt. Das ist natürlich nicht alles Bioproduktion, in vieler Hinsicht jedoch schon: Produktion in kleinem Maßstab, traditionell und mit geringem Einsatz erzeugt. Wir haben mehr Lebensmittel, und doch verhungern die Menschen, und dieses Problem hat das Agrobusiness nicht lösen können, obwohl das eines seiner großen Versprechen war. Deshalb arbeiten wir heute in Uruguay zusammen mit dem Biolandwirtschaftsverband (Red de Agroecología), dem Netzwerk Eigenes Saatgut (Red de Semillas Criollas) und der Wissenschaftlichen Gesellschaft für Biolandwirtschaft Lateinamerika (Sociedad Científica Latinoamericana de Agroecología) an einem Nationalen Ernährungsplan Biologische Landwirtschaft, wie dies bereits auch in vielen anderen Ländern geschieht, da in den meisten Ländern keine staatliche Förderung für biologische Landwirtschaft existiert.

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