HIV/Aids verbreitet sich unter Indígenas – kulturell angemessene Gesundheitsversorgung dringend erforderlich

von Louisa Reynolds

(Lima, 30. Juli 2009, noticias aliadas).- Die Ortschaft Almolonga im Hochland Guatemalas ist auch als die „wundersame Stadt“ bekannt. Vor mehr als 30 Jahren war der im westguatemaltekischen Department Quetzaltenango gelegene Ort, in dem 20.000 Einwohner*innen des Maya–Volkes Quiché leben, von Krankheiten, Armut und Alkoholismus geprägt.

Mitte der 1970er Jahre konvertierten dann um die 90 Prozent der Bewohner*innen zum evangelikalen Christentum, was radikale Veränderungen im Ort bewirkte: Die 34 Schankhäuser des Ortes wurden geschlossen und durch Kirchen ersetzt, Almolonga blühte daraufhin auf, wurde sauber und bekannt für besonders riesiges Gemüse, insbesondere für sehr große Möhren. Dennoch wird die scheinbare Idylle dieses Ortes von HIV und Aids bedroht: Seit Beginn des Jahres 2009 registrierte das Gesundheitsministerium in Almolonga bereits 14 Fälle. Wird das Problem nicht ernsthaft angegangen, könnten verbreitete Unwissenheit und kulturelle Tabus das Ansteckungsrisiko erhöhen.

Der Bürgermeister von Almolonga hatte sich aus diesem Grund dafür ausgesprochen, eine bewusstseinsbildende Kampagne für die Benutzung von Kondomen zu initiieren. Dies lehnte die Evangelikale Kirche jedoch nachdrücklich ab und beharrte auf der Position, dass die gegenseitige Treue innerhalb der Ehe die einzig angemessene Form sei, eine Ansteckung mit der Krankheit zu verhindern.

Der evangelikale Pfarrer Mariano Xicará räumt zwar ein, dass die Anzahl der HIV–Fälle in Almolonga zunimmt, vertritt jedoch die Ansicht, dass viele Menschen aufgrund ihrer religiösen Überzeugungen fälschlicherweise glaubten, die Familienangehörigen seien an Diabetes gestorben oder weil sie Hexerei betrieben hätten. Neben den Kneipen, die geschlossen wurden, waren die überlieferten Glaubensvorstellungen der Bevölkerung das erste, was die evangelikale Kirche in Almolonga ausmerzte. So wurde beispielsweise der verbreitete Kult um den Heiligen Maximón, einer synkretistischen Repräsentation des Maya–Gottes Mam, als „Götzenverehrung“ oder „Hexerei“ angesehen.

In den vergangenen Jahren gab es laut Gesundheitsministerium in der Provinz Quetzaltenango 144 Fälle von HIV. Derzeit leben insgesamt 1.551 HIV–Positive in dem Department. Aus einem vom Landesweiten Zentrum für Epidemiologie (Centro Nacional de Epidemiología) und vom Staatlichen Programm für Prävention, Behandlung und Kontrolle von sexuell übertragenen Infektionen, HIV und Aids (Programa Nacional para la Prevención, Atención y Control de Infecciones de Transmisión Sexual, VIH y Sida) veröffentlichten Bericht geht hervor, dass die Provinz Quetzaltenango mit 206,71 Fällen pro 100.000 Einwohner*innen von den landesweit 22 Provinzen an achter Stelle bei der Anzahl von mit HIV und Aids lebenden Personen pro Department steht.

HIV/Aids und Migration Obwohl die Mehrheit der Fälle von HIV vorwiegend in urban geprägten Provinzen wie Guatemala (35 Prozent) und Escuintla (10 Prozent) registriert wird, ist die stetige Zunahme von Infektionen in den ländlichen Gegenden besorgniserregend, denn es wird befürchtet, dass viele HIV–Fälle fälschlicherweise als Lungenerkrankungen diagnostiziert werden. Dies würde bedeuten, dass Anzahl der Infektionen real um ein Vielfaches größer ist.

Seitdem im Jahr 1989 der erste Fall von HIV in der Provinz Quetzaltenango registriert wurde, haben die lokalen Gesundheitsämter ihre Anstrengungen auf die Gemeinde von Coatepeque fokussiert, wo es heute 602 registrierte Fälle gibt. Dieser Ort liegt an der Route, die illegalisiert Migrierende in die USA nehmen, wenn sie nach Tecún Umán, einer Stadt an der Grenze zu Mexiko in der weiter nördlich gelegenen Provinz San Marcos unterwegs sind.

Im nordwestlich von Guatemala gelegenen Department Huehuetenango, wo in den letzten Jahren die Migration nach den USA rapide zugenommen hat, sind 148 Fälle von HIV registriert worden. Bei 105 Personen ist die Krankheit Aids bereits ausgebrochen. Das entspricht einer Quote von 18,13 Fällen auf 100.000 Einwohner*innen.

Viele Gemeindeführer versuchen, die öffentliche Aufmerksamkeit auf das Thema zu lenken – so wie Saturnino Figueroa, Bürgermeister des nahe der mexikanischen Grenze in der Provinz Huehuetenango gelegenen Ortes San Juan Ixcoy. „Nach der Migration kommen Geschlechtskrankheiten wie Aids zu uns. Daran sind bereits einige Menschen gestorben. Zum Beispiel kommt ein junger US–Amerikaner mit dieser Krankheit und geht mit verschiedenen Frauen Beziehungen ein. Alle diese Frauen wollen ihn zum Ehemann, weil sie denken, dass er ihnen dann Vermögen übertragen wird. Später haben diese Frauen dann Beziehungen mit anderen – und das wird dann gefährlich für die Bevölkerung. Dies ist ein selten angesprochenes Thema, denn es betrifft die persönliche Ehre und da bleibt man eher diskret“, sagt Figueroa.

Die grenzüberschreitende Migration birgt insbesondere für Frauen die Gefahr der Ansteckung, da viele migrierende Frauen in Netzwerke der Prostitution geraten, wie sie in Grenzstädten wie Tecún Umán operieren. Der fehlende Zugang zu Verhütungsmitteln in ländlichen Gebieten ist ein weiteres Problem. Dadurch erhöht sich das Risiko der Übertragung von HIV durch die Mutter auf das Kind. Gegenwärtig ist nur eine von vier HIV–Patient*innen eine Frau, doch ist deren Zahl in den letzten Jahren angestiegen. Die Gesundheitsbehörden müssen jedoch noch klären, ob die steigenden Zahlen eine höhere Infektionsrate von Frauen zur Ursache hat oder lediglich die Anzahl der untersuchten Frauen angestiegen ist.

Kulturell angemessene Gesundheitsfürsorge Der indigene Psychologe Ángel Soval arbeitet in einer HIV/Aids–Klinik in Quetzaltenango. Diese Klinik wird von der Weltbank finanziert und ist das einzige Gesundheitszentrum, das sein Angebot den kulturellen Bedürfnissen der indigenen Bevölkerung angepasst hat. Die Klinik versorgt derzeit 470 Patient*innen und bietet 325 Patient*innen eine antiretrovirale Therapie an, mit deren Durchführung man in der Klinik vor zwei Jahren begonnen hatte.

„In den konventionellen Krankenhäusern behandeln die Ärzte in ihren weißen Kitteln ihre Patienten von oben herab, ich jedoch agiere eher wie ein Ratgeber der Gemeinde. Mich sehen sie als Ihresgleichen an“, sagt Soval. Eine der größten Errungenschaften der Klinik ist die Ausbildung von Angehörigen der Gemeinde zu Gesundheitsberater*innen.

Mehr als die Hälfte der im öffentlichen Gesundheitssystem Arbeitenden wird in der Provinz Guatemala eingesetzt, dem bevölkerungsreichsten Department des Landes, in dem 22 Prozent der Gesamtbevölkerung leben. Etwa 43 Prozent der Angestellten des öffentlichen Gesundheitssystems kümmern sich um die verbleibenden zehn Millionen Guatemaltek*innen, die in den eher ländlichen Provinzen leben.

Das Fehlen einer qualitativ hochwertigen Gesundheitsversorgung in den ländlichen Gegenden erkläre demnach das Fehlen von Programmen zum Umgang mit HIV/Aids in indigenen Sprachen. „Wir haben die indigene Population außer Acht gelassen“, gibt die Direktorin des Staatlichen Programms für Prävention, Behandlung und Kontrolle von sexuell übertragener Infektionen, HIV und Aids, Mariel Castro, zu.

Weshalb es so wichtig ist, eine kulturell angemessene Gesundheitsfürsorge zu gewährleisten, verdeutlichen die Worte von Álvaro Pop, dem Präsidenten der indigenen Organisation Naleb: „Es gibt ein Machtgefälle zwischen Arzt und Patient, welches zu einer absoluten und allgemeingültigen Unterordnung des Patienten führt. Wenn wir dieses Konzept auf die Situation auf dem Land übertragen, wo der Arzt ein Mann ist und die Patientin eine Frau, die nur Quiché spricht – dann werden wir ernsthafte Schwierigkeiten bekommen.“

Weitere Informationen sowie Statistiken (spanisch):

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