Flucht ist immer legitim

Wir dokumentieren im Folgenden das Editorial aus der Septemberausgabe der Lateinamerikanachrichten. Danke Compas!
Wir sehen das auch so!

Eine lange Diskussion in der Redaktion. Das Flüchtlingsthema machen oder nicht? So viel von dem, was uns bewegt, wurde schon gesagt und diskutiert, in ausführlichen Berichten, Artikeln und Dossiers, mit klugen, eindringlichen Worten und mit noch mehr sagenden Aktionen und Gesten. Was können wir noch beitragen zu dieser Debatte, was nicht längst schon gesagt oder getan wurde? Am Schluss waren wir uns einig. Wir müssen Position beziehen. Man kann es nicht oft genug sagen.

Und es ist nicht neu, aber es ist so simpel: Ein Mensch ist ein Mensch ist ein Mensch. Und ein Mensch, ein jeder, soll das Recht haben, dorthin zu gehen, wohin er gehen möchte und dort zu bleiben, sich niederzulassen und auch wieder zu gehen. Darum geht es uns. Um das Wesentliche. Denn bei all den wichtigen und notwendigen Debatten um Gründe und Maßnahmen, Kosten und Nutzen, Staatsversagen und Ehrenamt, sichere Herkunftsländer und Quoten… kommen die größten Selbstverständlichkeiten, so scheint es uns, zu oft zu kurz.

Ein Mensch ist ein Mensch ist ein Mensch. Wie absurd ist da die Unterscheidung zwischen Wirtschaftsflüchtling und „echtem“ Flüchtling? Für wen macht es einen Unterschied, ob ein Mensch vor einem Bürgerkrieg flieht oder vor dem Verhungern? Für welchen Menschen spielt das wirklich eine Rolle, wenn ein anderer Mensch zu ihm kommt und ihn um Schutz bittet? Warum muss es überhaupt begründet werden, den Ort zu wechseln, der qua der Zufälligkeit der Geburt zum Lebensmittelpunkt geworden ist? Und warum entscheidet jemand anderes über die Rechtmäßigkeit dieses Grundes? Warum ist diese Rechtmäßigkeit auf einmal eine andere, je nachdem, in welche Himmelsrichtung diese Wanderbewegung vollzogen wird?

Uns erscheinen die Unterscheidungen zwischen nützlicher und unnützer Migration, legitimen und illegitimen Fluchtgründen zynisch. Die fast 80.000 nach Lateinamerika ausgewanderten Spanier*innen im letzten Jahr sind auf der „Suche nach ihrem Glück“ in Übersee. Deutschen Familien, die sich im Ausland eine neue Existenz aufbauen, widmet man eine eigene, unterirdische Fernsehserie mit dem Titel „Die Auswanderer“. Impliziert das Wort Wirtschaftsflüchtling die Bewegung von Süden nach Norden per Definition? Warum sind Grenzen in die eine Richtung offen und in die andere geschlossen? So selbstverständlich steht vielen von uns die Welt offen, so natürlich scheint dieses Privileg. So sehr, dass man ohne zu hinterfragen, anderen mit der gleichen Selbstverständlichkeit eben dieses verweigern kann? Das sind viele Fragen und nicht auf alle gibt es eine klare Antwort. Aber dennoch müssen sie gestellt werden. Denn sonst drohen diese Fragen nach dem Wesentlichen, nach dem Menschlichen, hinter all den Zahlen, Fakten, Gesetzen und Bestimmungen an Bedeutung zu verlieren.

Wir sind sehr nachdenklich aus dieser Diskussion gegangen über das, was uns wichtig ist, hier zu sagen.
Es ist ein Plädoyer gegen Grenzen, Zäune und Mauern auf Landkarten und in Köpfen. Wer gehen möchte, muss gehen dürfen. Wer fliehen muss, muss dort, wo er ankommt, besonderen Schutz bekommen. Senegals Bauernpräsident Samba Gueye hat die Folgen der Politik des Globalen Nordens einst plastisch ausgedrückt: »Wir haben Erdnüsse exportiert, das wurde uns kaputtgemacht. Wir exportierten Fisch, der wurde uns weggefangen. Nun exportieren wir eben Menschen.« Es ist gut, dass die Themen Flucht und Migration nun die Aufmerksamkeit bekommen, die sie verdienen, nach Lösungen gesucht wird und dass so viel diskutiert und in Frage gestellt wird. Eins darf dabei jedoch nicht zur Debatte stehen. Ein Mensch ist ein Mensch ist ein Mensch. Und kein Mensch ist illegal.

LN-Redaktion

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