Entwicklung? Geht auch ohne Demokratie?!

Von Markus Plate

(Managua, 7. März 2017, npl).- Daniel Ortega, ehemals Revolutionsführer und seit 2007 Präsident Nicaraguas, hat sich erst im November seine dritte Amtszeit gesichert – und wird das zentralamerikanische Land fünf weitere Jahre regieren. Warum auch nicht? Die Wirtschaftsentwicklung ist positiv, Sozialprogramme helfen den Ärmsten, Wohlhabende zahlen wenig Steuern, die Kriminalität ist gering. Richtig faire und freie Wahlen wollte Ortega dennoch nicht riskieren. Denn die Achtung der Menschenrechte und demokratischer Institutionen spielen im System Ortega eine untergeordnete Rolle.

Abends, wenn in Managua die Temperaturen auf einigermaßen erträgliche 30 Grad sinken, füllen sich und die Straßen mit Leben. Das war nicht immer so: Seit dem verheerenden Erdbeben 1972 war das historische Zentrum Managuas lange Zeit ein Trümmerfeld. Doch seit der Rückkehr der Sandinist*innen an die Macht hat sich aber einiges getan. Direkt am See ist ein Ausgehviertel mit Restaurants und Bars entstanden. Ein großer Park wartet mit Sportfeldern und einer nigelnagelneue Rollschuhbahn auf, mit großen Kinderspielplätze und Wasserspielen.

Auch die 27-jährige Mirna Mercedes und ihr Partner Nelson genießen die Abendstunden im Park. Die beiden sitzen auf einer Parkbank und chatten fast ununterbrochen mit Freund*innen. Dank kostenlosen WLAN-Empfangs. „So einen schönen Park gab es vorher nicht“, sagt Mirna, früher sei das ehemalige Stadtzentrum wie ausgestorben gewesen und gefährlich. „Heute ist es hier grün, und lebendig, es gibt viel Platz und Angebote für die Kinder. Alles gratis, abends beleuchtet und überall sind Wachleute, die uns beschützen.“

Wie so viele Nicaraguaner*innen sind Mirna Mercedes und Nelson unterbeschäftigt. Sie wohnen bei Mirnas Mutter in einem Armenviertel zwei Kilometer vom Park entfernt. Das Haus ist winzig und eher ein besserer Verschlag. Doch hungern müssen Mirna und ihre Familie nicht: Es gibt jeden Monat ein Lebensmittelpaket von der Regierung und auch die prekäre Wohnsituation muss nicht ewig andauern. Engagierte Sandinist*innen wie Mirna und Nelson dürfen sich Hoffnung auf die eigenen, bescheidenen vier Wände machen. So wundert es nicht, dass in den Armenvierteln die Unterstützung für Ortega und die Sandinist*innen ungebrochen ist.

Unterstützung der Armen für Ortega ist ungebrochen

Daniel Ortega, 1979 siegreich gegen die jahrzehntelange Somoza-Diktatur, ist seit 2007 wieder Präsident Nicaraguas. Seine Macht ist heute größer denn je. Das hat Gründe. Der überall im Land an Wände gepinselte Mythos des großen Revolutionsführers spielt dabei eine große Rolle. Auch die nationale Presse geht mit Daniel und seiner Regierung gnädig um. Kein Wunder: Die wichtigsten Fernseh- und Radiosender und die auflagenstärkste Tageszeitung gehören mittlerweile dem Umfeld der Familie Ortega. Unabhängige Medien wie das Internetmagazin Confidencial hätten es schwer, Gehör zu finden, so Chefredakteur Carlos Fernando Chamorro: Der Raum für unabhängige Medien sei erheblich kleiner geworden. Journalist*innen und Medien würden gekauft, der Zugang zu öffentlicher Information blockiert, Pressekonferenzen seien nur für regierungsfreundliche Journalist*innen geöffnet, Behörden und Ministerien reagierten grundsätzlich nicht auf Anfragen.

Auch andere Ausdrucksformen kritischer Meinungsäußerung werden behindert. Campesino-Proteste gegen das Megaprojekt eines interozeanischen Kanals, der Nicaragua von der Karibik bis zum Pazifik durchpflügen soll. Oder feministische Demonstrationen gegen das strikte Abtreibungsverbot. Vertreter*innen von Menschenrechtsorganisationen wurden des Landes verwiesen, mehrere Journalist*innen durften nicht einreisen.

Revolutions-Ikone Téllez distanziert sich

Dora María Téllez, heute Anfang sechzig, war eine der berühmtesten Guerilla-Kommandantinnen. Sie befehligte 1979 die Eroberung der Stadt León während der finalen sandinistischen Offensive gegen das Somoza Regime. In den 1980er Jahren war sie als sandinistische Gesundheitsministerin Teil der sandinistischen Regierung. Doch längst hat sich Dora María Téllez, die Ikone der Revolution, von ihrem ehemaligen Comandante und seiner Ehefrau Rosario Murillo distanziert: „Hier in Nicaragua gibt es ein dynastisches Regime, eine Diktatur der Familie Ortega-Murillo. Die Sandinisten existieren als Partei gar nicht mehr.“ Besonders kritisch sieht sie die Rolle von Rosario Murillo, Ortegas Ehefrau: „Murillo will alles kontrollieren. Alle Kommuniqués stammen von ihr. Die Behörden können ohne ihre Erlaubnis nichts veröffentlichen. Die Regierungsarbeit ist dadurch gelähmt und gleichzeitig völlig auf Ortega konzentriert.“

Es sind gerade die sandinistischen Dissident*innen, die das System Ortega massiv kritisieren. Hugo Torres, ebenfalls alter Revolutionär, erkennt bei den regierenden Sandinist*innen nichts Revolutionäres mehr: Die Regierung sei genau so neoliberal wie die liberalen Vorgängerregierungen. Ortega fahre einen antikapitalistischen Diskurs, aber die Praxis habe eine neue Oligarchie hervorgebracht, mit Ortega an der Spitze. „Ortega sagt zu den Oligarchen: ‘Macht Eure Geschäfte und lasst mir die Politik!‘ So hat das schon Somoza gehandhabt.“

Wirtschaftswachstum trotz oder wegen Neoliberalismus

Neoliberal, aber nach den wirtschaftlichen Kenndaten durchaus erfolgreich. Die Wirtschaft wächst unter Ortega verlässlich jedes Jahr um gute vier Prozent. Gut, die Ortegas haben sich in den letzten Jahren ein respektables Wirtschaftsimperium unter den Nagel gerissen und den Oligarch*innen geht es trotz angeblichem Sozialismus super. Aber es fällt eben auch was für die einfachen Leute ab. So verarmt wie zur Jahrtausendwende ist Nicaragua heute längst nicht mehr.

An der UCA, der jesuitischen Universität in Managua, gibt die Journalistin María López Vigil die Zeitschrift Envío heraus, eine kritische, überparteiliche Publikation. Ihrer Meinung nach basiere das System Ortega auf dreimaligem Wahlbetrug, bei den Kommunalwahlen 2008 und 2011, sowie den Präsidentschaftswahlen 2011. Dadurch habe Ortega absolute Macht im Parlament und übe Macht über die meisten Städte und Gemeinden aus. Justiz, Rechnungshof, Sicherheitsorgane und Wahlbehörde handelten in seinem Sinne. Ortegas politische Macht sei also gewaltig.

Revolutionsromantik, riesige politische Macht, eine enge Allianz mit dem Großkapital, publikumswirksame Investitionen in den öffentlichen Raum – ein bisschen Mehr für die Armen, und hier und da ein bisschen Repression. Das ist das Erfolgsrezept der Familie Ortega in Nicaragua. Und seit den Wahlen vergangenen November ist Rosario Murillo, Ortegas Frau, auch gleich noch Vizepräsidentin. Das System Ortega scheint mindestens im Moment zukunftsfest.

Den Audio-Beitrag zum Artikel könnt ihr hier hören.

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