Die offizielle russische Politik und ihr Verhältnis zu Lateinamerika

von Germán Gorraiz Lopez

(Quito, 28. Juli 2009, alai).- Die Errichtung eines Personenkults und des offiziellen Dogmatismus wie unter Stalin: Mit öffentlicher Einschüchterung, wirtschaftlicher Austrocknung und Einleitung willkürlicher Maßnahmen wegen Steuervergehen um abweichende Stimmen und Medien zum Schweigen bringen – auf diese Weise soll Putin das Verschwinden der zur Demokratie gehörenden Opposition und die Etablierung einer einzigen offiziellen Politik erreicht haben.

Diese eklektische Doktrin beruht auf den expansionistischen Ideen des russischen Nationalismus, den Segnungen der allmächtigen orthodoxen Kirche, den unbezahlbaren Diensten des Geheimdienstes FSB (Nachfolger des KGB), der exorbitanten geldmäßigen Liquidität dank erfolgreicher Energieunternehmen (GAZPROM) sowie einem Führungsstil im Stile Chruschtschows mit einer personalisierten autokratischen Macht. Dies drückt sich beispielsweise in Putins Ziel aus, bis zu den Präsidentschaftswahlen 2012 die Ämter des Staatschefs und des Parteivorsitzenden auf sich zu vereinigen.

Weiterhin basiert seine Macht auf dem vorangegangenen Sturz der primitiven herrschenden Klasse aus der Zeit Jelzins, einer korrupten mafiösen Clique, die einem Staat innerhalb des russischen Staates glich (36% der großen Vermögen konzentrieren sich in ihren Händen, was einem Viertel des BIP entspricht) und ihrer Ersetzung durch sich als loyal erweisende Personen ohne politische Flatterhaftigkeit und mit dem einzigen Ziel, sich auf schnellem Wege zu bereichern.

Fortführung des Wettrennens zum All und Erneuerung der Waffenarsenale

Diese Politik wird seit dem Jahr 2000 mit dem Ziel verfolgt, die militärische Kontrolle des Weltalls zu erobern und die Sicherstellung des Elements Helium 3 zu gewährleisten. Dieses Element ist in riesigen Mengen auf dem Mond vorhanden und könnte dem Verbrauch fossiler Brennstoffe ein Ende bereiten und den Beginn einer Ära galaktischer Brennstoffe darstellen, da ein Terameter Helium 3 in etwa dem Energieverbrauch eines Jahres der Vereinigten Staaten entsprechen würde. Verbunden ist dieses Programm mit der Neuinstandsetzung des überkommenen Waffenarsenals, wofür man einen Haushaltsposten bereitstellt, der 20% des BIP ausmacht, ermöglicht durch die nachfolgenden Überschüsse aus dem spektakulären Ansteigen des Ölpreises (von 10 US–Dollar im Jahr 1998 bis zu mehr als 100 US–Dollar in 2008). Das ehrgeizige Ziel ist es, bis zum Jahr 2020 militärisch zu den Vereinigten Staaten aufgeschlossen zu haben.

Putin will in dem vor weniger als zwei Jahren begonnenen Wettlauf ums Weltall nicht zurückbleiben, und angesichts des für 2009 um 2,8 Mrd. Dollar angehobenen NASA–Budgets – womit diese bereits über 20 Mrd. Dollar für Projekte verfügt, wie etwa für die kürzliche Reise der Atlantis und das Projekt “Arianne”, in dessen Rahmen eine bemannte Raumfähre bis 2016 auf den Mond geschickt werden soll – wird er für das laufende Jahr das Weltraumbudget um das Siebenfache erhöhen. Mit den 1,8 Mrd. werden eine Mondstation für 2020 und fünf Jahre später die Ankunft auf dem Mars anvisiert.

Hierfür werden die legendären russischen Soyuz–Kapseln, die in den 1960ern das sowjetische Schmuckstück im Weltraum–Wettlauf gegen die USA waren, nun ersetzt durch die Klipper (Miniraumtransporter mit Platz für sechs Personen), ein ehrgeiziges Unternehmen des russischen Raumfahrtkonzerns RKK Energija. Dies erlaubt mit Sicherheit einen großen technologischen Sprung nach vorn in der Entwicklung von Weltraumfahrzeugen, was gemeinsam mit den Vorhaben der NASA, 2010 die US–Flotte an Weltraumtransportern aus dem Verkehr zu ziehen, Russland die alleinige Verantwortung für Flüge zur internationalen Raumstation ISS zukommen lassen würde.

Wirtschaftsbeziehungen zu Venezuela

Die Beziehungen mit Lateinamerika werden gezeichnet sein von wirtschaftlichem Pragmatismus und bilateralen Abkommen für den Verkauf militärischer Güter und der Weitergabe von Technologie an südamerikanische Länder. So haben Vertreter*innen der russischen und venezolanischen Regierung bei einem im Rahmen des Wirtschaftssystems für Lateinamerika und die Karibik SELA (Sistema Económico Latinoamericano y del Caribe) organisierten Treffens vereinbart, die Beziehungen beider Länder zu stärken. Die Vereinbarung verfolgt das klare Ziel, den Handelsumfang zwischen beiden Ländern zu steigern (2008 gab es einen Anstieg um fast 967,8 Mio. Dollar), da Venezuela von Russland als strategischer Partner angesehen wird.

Mit der Schaffung einer binationalen Bank erwarten beide Länder, den bilateralen Handel zu stärken und ein neues Einigungsparadigma innerhalb der strategischen Allianz etablieren zu können. Dabei sollen, im Rahmen der Offensive Putins, die das Ziel hat, dem Dollar seine Stellung als Weltwährung abspenstig zu machen, alle Handelstransaktionen in den nationalen Währungen beider Länder abgewickelt werden, um sie als Devisen zu akkumulieren und so im internationalen Finanzgeschäft an Gewicht gegenüber dem Dollar zu gewinnen.

Die russische Holdinggesellschaft GAZPROM ist ihrerseits an einer Beteiligung am transamerikanischen Gaspipeline–Projekt Venezuela–Brasilien interessiert, ein Projekt, das vor einem Monat von den Präsidenten Chávez, Kirchner und Lula da Silva beschlossen wurde – allem Anschein nach ist auch der bolivianische Amtsträger Evo Morales bereit, sich anzuschließen –, das eine Gasversorgung ganz Lateinamerikas garantieren würde. Der auf sieben Jahre angelegte Bau wird voraussichtlich 20 Mrd. Dollar kosten. Zusammen mit dem staatlichen Konzern YPFB (Yacimientos Petrolíferos Fiscales Bolivianos) und dem französischen Konzern Total E&P hat GAZPROM angeblich ein Abkommen zur Erkundung der Gasvorräte im Azero–Block im Südosten Boliviens unterzeichnet, was eine Investition von 4,5 Mio. Dollar bedeuten würde.

Wirtschaftsbeziehungen zu Brasilien

Die Wirtschaftsbeziehungen werden sich vor allem mit Brasilien intensivieren, da beide Länder zu den BRIC–Staaten (Brasilien, Russland, Indien, China) zählen, die besonders hohe Wachstumsraten haben und obwohl es auszuschließen ist, dass sie eine politische Allianz im Stile der EU oder des Verbands südostasiatischer Nationen ASEAN gründen, sollen sie in letzter Zeit ihre politische Zusammenarbeit für das Erzielen von Abkommen im Außenhandel und politischen Zugeständnissen der entwickelten Länder (Kooperation in der Atomtechnik mit Indien und Brasilien) intensiviert haben. Diese Länder haben nämlich das Potenzial, einen Wirtschaftsblock mit einem größeren Gewicht zu bilden als die G8 – Schätzungen zufolge werden diese Länder bis 2050 mehr als 40 Prozent der Weltbevölkerung stellen und über ein BIP von insgesamt 34.951 Billionen US–Dollar verfügen. Russland verfolgt dabei die Absicht, den russisch–brasilianischen Handelsumsatz (10 Mrd. Dollar im Jahr) zu verdoppeln. Dieser Handel schließt den Export von Flugzeugen, Werkzeugmaschinen und –teilen, Autoersatzteilen, Elektrogeräten, Krankenhausausrüstung, Textilien und Kosmetik nach Russland sowie die Erweiterung des Exports von Agrarprodukten wie Mais, Soja, Früchten und Säften ein. Brasilien soll dabei mit Russland Public–Private–Partnership–Unternehmen gründen, die auf die Herstellung von Turbinen und weiterer Ausrüstung für die Öl– und Gasförderung sowie den Bau von Elektrizitätsleitungen spezialisiert sind. So hilft GAZPROM der brasilianischen Ölgesellschaft Petrobras, eine Gasleitung zu bauen, um das Land mit dem aus den Gewässern des Santos Basin geförderten Gas zu versorgen. Dieses Gebiet liegt im Südosten Brasiliens. Dort wurden im Rahmen geologischer Studien Reserven ausgemacht, aus denen täglich bis zu 30 Mio. Kubikmeter Gas gefördert werden können, sechs Millionen mehr als die 24 Mio., die Bolivien an Brasilien verkauft und die Hälfte des täglichen Konsums in Brasilien ausmacht.

Putin verfolgte das politische Ziel, dem Einfluss Europas und der USA auf die amerikanische Südhalbkugel entgegenzuwirken und zu verhindern, dass Brasilien eine Rolle als „Wachhund der Neokonservativen“ in Südamerika übernimmt. Brasilien wird von Europa und den USA als potenzieller globaler Verbündeter betrachtet, den sie bei seiner Kandidatur für einen permanenten Sitz im UN–Sicherheitsrat unterstützen könnten, mit einer folglichen geopolitischen Aufwertung Brasiliens in der Weltpolitik.

Wirtschaftsbeziehungen zu Kuba

Medwedews Unterschrift unter den Pakt der Freundschaft und Zusammenarbeit mit Kuba wird ihren Beitrag zur Sanierung der schwer gebeutelten Wirtschaft der Insel nach den Verwüstungen durch die Wirbelstürme Gustav, Ike und Paloma im Jahr 2008, die einen Gesamtschaden von 10 Mrd. US-Dollar verursachten sowie dem von der globalen Krise verursachten Einbruch der Tourismusbranche und des Nickelexports leisten. Der Nickelpreis pro Tonne fiel auf dem Weltmarkt von 54.000 Dollar auf kaum mehr als 10.000 Dollar. Aufgrund dieser Schwierigkeiten nahm die kubanische Regierung in den letzten Monaten tiefe Einschnitte für Investitionen und Importe in den Haushaltsposten vor und verfolgt einen strikten Plan zur Minderung des Energieverbrauchs. Die Wachstumserwartungen für dieses Jahr wurden von 6 auf 2,5 Prozent zurückgeschraubt. Am 26. Juli 2007 bestand Raúl Castro in einer Rede – damals in seiner Funktion als Interims–Regierungschef – auf die “dringende Notwendigkeit”, den Boden produktiver zu machen und erklärte die Produktion von Gütern zu einer strategischen Priorität und einer Frage der nationalen Sicherheit. Laut offiziellen Daten erreicht der Import von Lebensmitteln im Jahr 2008 einen Wert von 2,4 Mio. US–Dollar. Im selben Jahr legte Castro ein Gesetz auf, welches denjenigen die landwirtschaftliche Bearbeitung des Bodens ermöglichte, die dazu gewillt und in der Lage sind. Es seien bereits ca. 82.000 Anträge der mehr als 110.000 eingereichten Anträge bewilligt worden. Bislang wurden damit 690.000 Hektar übergeben, was 39 Prozent der gesamten brachliegenden Fläche ausmacht.

Kuba nimmt unter den lateinamerikanischen Ländern den zehnten Platz auf der russischen Exportliste, auch wenn die Handelsverkehrzahlen klar verbesserungswürdig sind – der Handel zwischen Russland und Kuba erreichte in den letzten Jahren einen jährlichen Durchschnitt von etwa 300 Mio US–Dollar. Wenn die Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) sich wieder zusammensetzt – die das natürliche Spielfeld lateinamerikanischer Diplomatie mit den USA darstellt –, könnten neue Fortschritte in Bezug auf das Embargo gegen Kuba sowie bei der Verbesserung der US–Beziehungen zu Regierungen wie denen Boliviens und Venezuelas erzielt werden, die von der US–Regierung als Regierungen “non grata” erachtet werden.

Im entgegengesetzten Fall könnten wir dem Beschluss einer erneuten militärischen Zusammenarbeit Kubas mit Russland beiwohnen, was die Installierung einer Radarstation auf der verlassenen Militärbasis “Lourdes” einschließen würde, um in aller Bequemlichkeit Washingtons Geflüster verfolgen zu können, sowie die Errichtung von Militärbasen, die Iskander–Raketen und Militärflugzeuge – ausgestattet mit Atomwaffen wie die gefürchteten TU–160, im Westen bekannt als “BlackJak” – beherbergen, flankiert durch eine marine Megabasis und logistische Unterstützung für Venezuela …

Die USA würde ihrerseits die Panamerikanische Allianz ins Leben rufen – ein Aufguss der Allianz für den Fortschritt (Puerto Rico, 1961) –, angeführt von Mexiko, Brasilien und Argentinien, was zu wirtschaftlicher Hilfe und dem Abschluss von Abkommen führen würde, die diejenigen Länder begünstigen, welche den Destabilisierungsversuchen der populistisch–progressiven Regierungen (Kuba, Nicaragua, Ecuador, Bolivien und Venezuela) ideologisch zustimmen, und nebenbei Kolumbien in einen kontinentalen US–Flugzeugträger verwandeln würde.

Schließlich könnte die Zuspitzung der Wirtschaftskrise eine ernsthafte Einschränkung von Exporten lateinamerikanischer Produkte sowie von Einnahmen bei ausländischen Einzahlungen durch Migrant*innen, den so genannten „remesas“, nach sich ziehen. Vor allem in Ecuador und Bolivien, bei denen 2007 der Anteil der remesas am BIP 10 Prozent betrug, könnte die vorzeitige Rückkehr der Migrant*innen in ihre Heimat ein wirtschaftliches Desaster erzeugen, was breite Bevölkerungsschichten in die Armut stürzen würde. Des Weiteren könnte die Krise soziale Konflikte weiter verschärfen und die Ausbreitung linksradikaler Ideologien auslösen, da die Rücknahme demokratischer Rechte und eine mögliche Rückkehr zu überstanden geglaubten Szenarien von Militärdiktaturen (siehe Honduras) und revolutionären Guerillas (Peru, Nicaragua, Kolumbien und Bolivien) für das kommende Jahrzehnt vorgezeichnet zu sein scheinen.

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