Bolsonaros Weg zur Macht

(Rio de Janeiro, 29. Oktober 2018, taz).- Jair Bolsonaro hat lange gewartet, bevor er zu seinem großen Coup ansetze. Faschistische Ansichten hegte er immer schon und sprach sie auch aus, wenn sich eine Gelegenheit bot. Hetze gegen Schwule, Rechtfertigung von Folter, Plädoyer für das Erschießen politischer Gegner*innen. Doch er galt als Außenseiter, als Exot, der nicht ernst genommen wird.

Mehr oder weniger unauffällig sitzt er seit 27 Jahren als Abgeordneter für den Staat Rio de Janeiro im Bundesparlament. Davor war er zwei Jahre Stadtverordneter in Rio. Bei den Massendemonstrationen 2013, die sich anfangs gegen Geldverschwendung für Fußball-WM und Olympia richteten und innerhalb weniger Tage in einen Protest gegen die Regierung von Dilma Rousseff mündeten, waren die Verherrlicher*innen der Militärdiktatur (1964-1985) erstmals massiv präsent. Die Bilder von Uniformierten auf Militärwagen gruselten, doch niemand dachte damals daran, dass diese Rückwärtsgewandten jemals politische Bedeutung gewinnen würden.

Militaristen seit 2013 wieder präsent

Doch die Militaristen blieben präsent. Bei jeder Gelegenheit zeigten sie sich, auch bei den Massendemos für die Absetzung von Rousseff 2016. Damals kam es zu einem Schulterschluss aller konservativen Kräfte Brasiliens mit dem erklärten Ziel, die gewählte Regierung der Arbeiterpartei PT loszuwerden, egal wie. Die Initiative übernahmen damals die Unternehmerpartei PSDB, die der PT in vier aufeinander folgenden Stichwahlen um die Präsidentschaft unterlag, und das Oligopol der privaten Massenmedien, die mehr Sprachrohr dieser Bewegung war als Berichterstatter. Mit dabei auch die sogenannten Zentrumsparteien (Centrão), die aus der Koalition mit der PT zur Opposition überliefen. Deren Motivation war offenbar die Beendigung der Korruptionsermittlungen, wozu Rousseff nicht bereit war – obwohl ihre Absetzung sowie die rechte Hetze gegen die PT vor allem mit dem Korruptionsvorwurf begründet werden.

Beim landesweiten LKW-Streik im Mai dieses Jahres waren die Befürworter*innen eines militärischen Eingreifens bereits so stark, dass sie in Zusammenarbeit mit der Polizei, die den Streik eigentlich beenden sollte, eine Führungsrolle übernahmen. Inzwischen meldete sich auch Bolsonaro unterstützend zu Wort. Im Landesinneren sind seit Jahresbeginn riesige Outdoors mit der Werbung „Bolsonaro Presidente“ an Landstraßen zu sehen – illegale Wahlwerbung, an der sich offenbar niemand störte.

Im Schatten der politischen Krise nutzte der rechtsextreme Militarist die Gunst der Stunde

Die Absetzung von Rousseff in einem umstrittenen Amtsenthebungsverfahren im August 2016 ist in mehrerlei Hinsicht der Ausgangspunkt für Bolsonaros Griff nach der Macht. Zum einen war es ein rechtsstaatlich fragliches Verfahren, das trotz Einhaltung des Weges durch die Instanzen kein Fehlverhalten Rousseffs nachwies und eindeutig politisch motiviert war. Die Amtsübernahme durch eine durch und durch korrupte Clique um Übergangspräsident Michel Temer war der Beginn eines rechtsfreien Zustands, eines „anything goes“, der auch den Ruf nach einem starken Mann hoffähig machte.

Zum anderen nutze Bolsonaro die live übertragene Parlamentsabstimmung über die Amtsenthebung zu einer seiner perversesten Äußerungen. Er widmete seine Stimme dem bekannten Folterer Carlos Alberto Ustra, der einst auch Rousseff mit Elektroschocks misshandelte. Oft wird gesagt, dass dies der heimliche Startschuss seiner Kampagne war.

Das breite Anti-PT-Bündnis war für den Ex-Militär allerdings nur ein Sprungbrett. Die konservative Elite wollte 2018 selbst an die Macht, und Bolsonaro gelang es im Vorfeld der Wahl kaum, überhaupt einen Vize-Kandidaten zu finden. Seine (einstige) Kleinstpartei PSL ging ohne nennenswerten Koalitionspartner ins Rennen. Doch sein Kalkül ging auf: Wenn die traditionellen Konservativen aufgrund der Bürde von zwei Jahren unbeliebter Temer-Regierung keinen starken Kandidaten ins Rennen bringen, werde am Ende er selbst das rechte Lager vertreten. Hinzu kam, dass er den Anti-PT-Diskurs, den Medien und Konservative zu ihrer politischen Bibel erklärt haben, noch besser und radikaler in Szene setzte und dafür die Lorbeeren erntete: „Du wirst in deiner Zelle verrotten“, sagte er dem unter fraglichen Umständen wegen Korruption verurteilten Ex-Präsidenten Lula da Silva. Und PT-Mitgliedern drohte er im Wahlkampf mit Erschießen.

Religiöse Bündnisse und Fake News à la Trump

Sein wichtigsten Bündnis in der Stichwahl war, für die Elite die einzige Option gegen die PT zu sein. Seine Inhalte sind der Wählerschaft zudem weitgehend unbekannt, da er sich seit einer Messerattacke durch einen offenbar geistig verwirrten Mann im September weigert, an öffentlichen Debatten teilzunehmen. Statt dessen Wahlkampf à la Trump: Unmengen Fake News, diesmal vor allem per WhatsApp. Selbst Trumps Ex-Berater Stephen Bannon war im Team von Bolsonaro mit von der Partie. Und er bekam Beistand von evangelikalen Pastoren, die in ihren Gemeinden das Votum für Bolsonaro zu einer Gottespflicht machten. Für diese Allianz ließ sich der Katholik vor zwei Jahren in Israel taufen.

Die oft geäußerte Hoffnung, die stabilen Institutionen in Brasilien würden Bolsonaro schon im Zaum halten, sind nach seinem fulminanten Wahlsieg mit über 55 Prozent der Stimmen eher Wunschdenken. Das politische System basiert auf Klientelismus und Interessenkungelei, so dass rechtsstaatliche Prinzipien und moralische Skrupel weit hinten auf der Prioritätenliste vieler Parlamentarier*innen stehen. Und der Oberste Gerichtshof hat bei all den fragwürdigen Entwicklungen seit Rousseffs Wiederwahl 2014 kaum Position bezogen. Trotzdem kündigte Bolsonaro bereits an, die Richterzahl auf 22 zu verdoppeln. Demokratie und Rechtsstaat ade.

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