Bilanz nach zwei Jahren – Das Permanente Völkertribunal

von Gerold Schmidt

(Berlin, 19. Dezember 2013, npl).- „Wir gingen umher, ohne uns zu suchen, aber im Wissen, umherzugehen, um uns zu finden“. Dieses Zitat aus dem Roman Rayuela von Julio Cortázar steht etwas versteckt oben rechts auf der spanischsprachigen Webseite (www.tppmexico.org) des Permanenten Völkertribunals (TPP), Kapitel Mexiko. Gut zwei Jahre ist es inzwischen her, dass das Tribunal seine Arbeit in Mexiko begann. Unter dem Oberthema Freihandel, Gewalt, Straffreiheit und Rechte der Völker hat es Dutzende von Voranhörungen zu insgesamt sieben Schwerpunktthemen gegeben. Viele mexikanische Organisationen und Personen, die zu Anfang dieses Prozesses nicht voneinander wussten, haben sich dabei tatsächlich gefunden.

TPP als Raum für Vernetzung und Begegnung

„Im gesamten mexikanischen Territorium gibt es Hunderte von Bevölkerungsgruppen und Gemeinden und auch von Organisationen, die sich gegen unzählige Rückschritte zu verteidigen versuchen. Der Prozess des Tribunals hat die Möglichkeit eröffnet, dass diese Kämpfe bekannt werden, dass sie sich untereinander kennen lernen und dass eine öffentliche Diskussion über die gravierenden (Umwelt)- Probleme in Mexiko beginnt“, sagt Octavio Rosas, von einer der lokalen Organisationen des TPP, im Gespräch zum Thema Umweltzerstörung (das komplette Interview mit Rosas erscheint in der aktuellen Ausgabe Nr. 371 der Zeitschrift ila).

Die Aussage von Rosas gilt jedoch im Grunde genauso für die anderen Themen, denen sich das TPP widmet: Schmutziger Krieg und fehlender Zugang zur Justiz; Migration, Flucht und Vertreibung; Feminizide und Gendergewalt; Gewalt im Arbeitssektor und Verletzung kollektiver Arbeitsrechte; Gewalt gegen die Ernährungssouveränität; Umweltzerstörung; Falschinformation, Zensur und Gewalt gegen Medienschaffende.

Abschlussanhörung in zweiter Jahreshälfte 2014

Nicht alle nutzten die Möglichkeiten des Permanenten Völkertribunals bisher auf gleiche Art und Weise. Die verschiedenen Voranhörungen wiesen eine unterschiedliche Qualität, Beteiligung oder einfach nur einen unterschiedlichen Charakter auf. In einigen Fällen stand die reine Anklage im Vordergrund, in anderen die Analyse und detaillierte Dokumentation. Nicht immer verlief die Zusammenarbeit angesichts sehr unterschiedlicher sozialer und politischer Hintergründe der Beteiligten reibungslos.

Inzwischen hat das TPP den größten Teil seines Weges zurückgelegt. Im November gab es zu den Themen Umwelt, Ernährungssouveränität (mit dem Schwerpunkt auf dem mexikanischen Grundnahrungsmittel Mais) sowie dem transversalen Thema Repression gegen soziale Bewegungen, bereits Schlussanhörungen. In den folgenden Monaten wird dies auch bei den übrigen Themen geschehen.

TPP: Einzigartige Dokumentation von Rechtsverletzungen des Staates

Das Permanente Völkertribunal, Kapitel Mexiko endet dann formal in der zweiten Jahreshälfte 2014 mit einer allgemeinen Schlussanhörung und dem abschließenden moralischen Urteil einer breiten Jury internationaler Expert*innen zur Situation in Mexiko. Was bleiben wird, sind vielfältige neue Kontakte und eine wohl bisher in Mexiko beispiellose Dokumentation von Fällen, in denen der Staat die Rechte seiner Bürger*innen missachtet, weil sie wirtschaftlichen und politischen Interessen im Wege stehen.

Nicht umsonst kam beim Thema Umweltzerstörung die zehnköpfige Jury [Gianni Tognoni (Italien), Tony Clarke (Kanada); Emily Smith (Kanada); Esperanza Martínez (Ecuador); Silvia Rodríguez (Costa Rica); Larry Lohman (England); Dora Lucy Arias (Kolumbien); Alberto Saldamando (USA); Marco Ferreira (Argentinien); Raúl García Barrios (Mexiko)] in ihrem Urteil zu dem Schluss, dass die Zerstörung Teil eines staatlichen Handelns ist, das die Interessen von Konzernen und nicht das öffentliche Interesse unterstützen soll.

Systematische Attacke auf Zivilbevölkerung – auch unter der neuen Regierung

Sie erklärte: „Wir verurteilen energisch den mexikanischen Staat für den Machtmissbrauch, der die Umweltzerstörung im Land verursacht hat. Die dargestellten Vergehen lassen sich zudem der Kategorie der Verbrechen gegen die Menschlichkeit zuordnen, so wie diese im Römischen Statut des Internationalen Strafgerichtshofs definiert sind. Sie lassen sich im Kontext einer allgemeinen und systematischen Attacke gegen die mexikanische Zivilbevölkerung verifizieren.” Besonders der letzte Satz trifft nach den zusammengetragenen Zeugnissen und Erfahrungen des Permanenten Völkertribunals in Mexiko auf alle sieben Themen zu.

Hoffnungen, mit dem Regierungswechsel vom 1. Dezember 2012 könne sich die Lage nach zwölf Jahren Herrschaft der konservativen PAN nun unter der Regierung der Partei der PRI und dem Präsidenten Enrique Peña Nieto verbessern, haben sich nach Ansicht der mexikanischen Organisator*innen des TPP nicht erfüllt. Octavio Rosas sieht sogar „mehr Kontrolle und Repression für die jeweils betroffene Bevölkerung“. Angesichts weiterer neoliberaler Wirtschaftsreformen befürchtet er eine Verschlechterung sowie „eine weiter zunehmende Kriminalisierung und Repression gegenüber sozialen Protesten“. Das bedeute die Rückkehr der PRI an die Macht: „Die Mechanismen der autoritären und antidemokratischen Kontrolle, die während der 70 Jahre langen Herrschaft der PRI angewandt wurden, sind nun zurückgekehrt, aber viel gewaltsamer als früher.“

 

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