Argentinische Radiokollektive trotzen rückschrittlicher Medienpolitik

(Buenos Aires-Berlin, 30. August 2016, npl).- Von 2009 bis 2015 hatte Argentinien ein neues, fortschrittliches Mediengesetz. Doch bereits kurz nach seinem Amtsantritt Ende vergangenen Jahres erklärte der rechtskonservative Präsident Mauricio Macri wesentliche Teile des Gesetzes per Dekret für ungültig. Seitdem liegt das Projekt auf Eis. Ungeachtet dessen streiten Medienaktivist*innen im Land weiterhin für ihr Recht auf Kommunikation.

Kommunikation für alle

Mitten in Buenos Aires befindet sich Werkstatt des Kollektivs „DTL Comunicación Popular“. Hier werden Antennen, Sender und Masten für freie Radios gebaut – die komplette Infrastruktur, die man für den Betrieb eines Senders braucht. Angefangen hat die Gruppe 2008 mit einfachem Radiobetrieb. Doch schon bald verlagerte sie ihren Schwerpunkt auf den Bau von Radiotechnik, erzählt Federico, eines der neun DTL-Mitglieder. „Später haben wir uns im alternativen Mediennetzwerk RNMA vernetzt und angefangen ganze Radio- und Fernsehsender zu bauen.“  Bislang haben die Radioaktivist*innen etwa 70 Sender im ganzen Land aufgestellt und 200 Medieninitiativen unterstützt. Das DTL-Kollektiv verschreibt sich der „comunicación popular“, der Kommunikation für alle. Jede*r arbeitet hier ehrenamtlich, niemand erhält für die Arbeit einen Lohn. So können auch kleine Initiativen eine eigene Radiostation aufbauen.

Sendemasten für selbstbestimmtes Radio

Die DTL-Werkstatt befindet sich in der übernommenen Fabrik IMPA im zentralen Stadtviertel Almagro. Auf dem Dach des massiven, fünfstöckigen Gebäudekomplexes

stehen zwei Radiomasten aus verzahntem Baustahl. Auf ihnen sind, in bis zu 50 Metern Höhe, eine Reihe von Sendern in verschiedenen Formen angebracht. Die Reichweite hängt stark von der Gegend ab: Auf dem Land schafft das Signal mehrere Kilometer, in einer Großstadt wie Buenos Aires, wo hunderte Radios miteinander um wenige Frequenzen konkurrieren, sind es teilweise nur 500 Meter. Von hier sendet auch das Community-Radio „Semilla“, das aus einer Nachbarschaftsinitiative entstanden ist. Eine der ausgestrahlten Sendung heißt „Trabajadores“, und berichtet vor allem von Arbeitskämpfen. Pilar, eine der Moderatorinnen, erzählt von den Anfängen ihrer Radioarbeit: „2011 haben einige aus unserer Gruppe an einem Treffen des alternativen Mediennetzwerk RNMA teilgenommen. Dort wurden Sender und Antennen gebaut,“ erinnert sie sich. „Und dann hatten wir einen Sender und sagten uns: ‚Okay, dann machen wir halt Radio.’“

Etwa 4.000 Community-Radios im ganzen Land

In Argentinien gibt es schätzungsweise 4.000 „radios comunitarias“ – selbstverwaltete Community-Sender. Nicht wenige davon befinden sich im ländlichen Raum. Hier ist der Internetempfang schlecht und die Mobilfunkabdeckung ungenügend. Radios stellen oftmals die einzige Form der Kommunikation untereinander dar. Für Radiomacherin Pilar zeichnen sich die freien Radios durch ihre basisdemokratische Struktur und den hohen Grad an Eigeninitiative aus: „Wir streben an, autonom, plural und horizontal zu sein,“ erklärt sie. Die Macher*innen der Sendung „Trabajadores“, in der regelmäßig Angestellte von ihren Kämpfen im Betrieb erzählen, treibe eine Menge Idealismus an: „Wir machen das, um Geld und Zeit zu verlieren – weil es uns halt gefällt“, so Pilar.

Reformiertes Mediengesetz unter Präsidentin Cristina Kirchner

Zwischen 2009 und 2015 hatte Argentinien ein progressives Mediengesetz. Das „Gesetz für audiovisuelle Dienste“ war eines der zentralen Projekte der Regierung von Cristina Fernández de Kirchner. Das Gesetz sollte die Konzentration von Radios, Fernsehkanälen und Zeitungen in der Hand weniger Unternehmen abschwächen und die argentinische Medienlandschaft demokratisieren. Damián Loreti, Professor für Informatik und Recht an der Universität Buenos Aires, entwickelte das argentinische Mediengesetz federführend mit. Er erläutert, dass bis 2009 zwei Unternehmen über fast zwei Drittel der analogen Fernsehkanäle verfügten. „Beim Kabel- und Bezahlfernsehen besaß eine einzige Firma sogar noch mehr Marktanteile,“ so Loreti. „Die Produktion von Inhalten war fast ausschließlich auf Buenos Aires beschränkt.“ Im Mediengesetz wurde außerdem festgeschrieben, dass ein Drittel der Rundfunklizenzen für nicht-kommerzielle Radios reserviert werden sollte. Während das Gesetz in Kraft war, wurden hunderte Sendelizenzen an kleine Medien, Kooperativen und Unis vergeben. Auch im öffentlichen Fernsehen sank die Konzentration.

Amtsnachfolger Macri setzt Mediengesetz per Dekret außer Kraft

Doch schon vor seinem Inkrafttreten stand das argentinische Mediengesetz unter Druck. Der Medienkonzern Clarín, der infolge des Gesetzes aufgesplittet werden musste, klagte dagegen. Gerichte erklärten es  für verfassungswidrig und das Verfassungsgericht revidierte diese Entscheidung wieder. Schließlich war das neue Mediengesetz so lange gültig, bis der rechtskonservative Mauricio Macri Ende letzten Jahres Präsident wurde. Schon kurz nach Amtsantritt beraubte er per Dringlichkeitsdekret das Mediengesetz zentraler Elemente und legte es so auf Eis. Damián Loreti fasst die dahinter stehenden Interessen zusammen: „Wer die Kommunikationsmittel beherrscht, der kann die öffentliche Meinung maßgeblich beeinflussen. Die gesellschaftlichen Sektoren, die Präsident Macri unterstützen, haben ganz klare Interessen und profitieren von der ökonomischen Konzentration im Medienbereich.“

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